Von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Wenn einstmals überzeugte Neonazis sich aus der rechten Szene lösen wollen, weil sie die menschenverachtenden Überzeugungen oder die Gewalt nicht mehr ertragen oder sich für eine bürgerliche Existenz entschieden haben, dann sind sie häufig auf Hilfe von außen angewiesen. Denn oft hat sich ihre ganze soziale Existenz in den sektenähnlichen Strukturen der extremen Rechten abgespielt. Zudem droht ihnen Verfolgung als "Abtrünnige" und "Verräter" durch ihre ehemaligen Kameraden. Diese Gefahr sieht auch die Bundesregierung. "Fast alle Aussteiger fühlen sich nach ihrer Abwendung von der rechtsextremistischen Szene bedroht, wenn sie auf ihnen bekannte Szeneangehörige treffen", heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage. Und an anderer Stelle ist die Rede von "Bedrohungen, Stalking und auch (schwerer) Gewalt" gegen ausstiegswillige Neonazis.
Im Rahmen des "Aufstandes der Anständigen", den die damalige Bundesregierung in Reaktion auf einen Anstieg der neofaschistischer Gewalttaten ausrief, wurde im Jahr 2000 das aus Bundesmitteln unterstützte nicht-staatliche Aussteigerprogramm Exit-Deutschland geschaffen. Im folgenden Jahr kam das Aussteigerprogramm des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) dazu. Daneben existieren staatliche und zivilgesellschaftliche Aussteigerprogrammen auf Landesebene.
Aussteigerprogramm oder "Spitzelanwerberprogramm"?
Das Aussteigerprogramm des BfV ist nicht nur politisch fragwürdig, da der Geheimdienst bis heute den Verdacht nicht zerstreuen konnte, es handele sich primär um ein Spitzelanwerbeprogramm. Dieses Programm kann im Vergleich zu zivilgesellschaftlichen Ausstiegshilfen auch für gescheitert erklärt werden. Das zeigen die Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen "Aussteigerprogramm des Bundesamtes für Verfassungsschutz für Rechtsextremisten" (PDF) und "Durch Bundesprogramme geförderte Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten (PDF).
697 Personen wurden laut Exit-Deutschland zwischen 2000 und heute erfolgreich beim Ausstieg begleitet, das BfV gibt 114 Ausstiege für den Zeitraum von 2001 bis heute an. Das ist ein Verhältnis von durchschnittlich 38:7 Ausstiegen pro Jahr.
Von den 1.178 Anrufern, die sich seit 2001 an die Aussteigerhotline des BfV gewendet haben, meldeten sich 762 allein im ersten Jahr. Was immer der Grund für diesen Ansturm war, der Wille zum Ausstieg kann es nicht gewesen sein, denn das BfV verzeichnet nur 23 reale Ausstiege für das Jahr 2001. Wahrscheinlicher ist, dass Nazis sich vom Verfassungsschutz einen positiven Einfluss auf mögliche Strafverfahren erhoffen. Die NSU-Aufklärung hat gezeigt, dass diese Hoffnung bisher nur zu berechtigt war. Zahlreiche Aussagen von Nazis im NSU-Zusammenhang belegen, dass der Verfassungsschutz häufig mehr Interesse hatte, sie als V-Leute in der Szene zu halten, als ihnen beim Ausstieg zu helfen. 2017 meldeten sich gerade einmal 12 Neonazis beim Aussteigerprogramm des BfV, tatsächlich aus der rechtsextremen Szene löste sich mit Hilfe des Geheimdienstes im vergangenen Jahr Jahr gerade einmal eine Person.
Fakt ist: Das Aussteigerprogram beim BfV stößt innerhalb der rechtsextremen Szene kaum noch auf Resonanz. Und das ist auch gut so. Denn Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten gehören nicht in die Hände von Geheimdiensten. Sie sollten ausschließlich zivilgesellschaftlich betrieben werden.