Zahlreiche offene Fragen im NSU-Komplex
Von Gerd Wiegel
Noch einmal Zwickau am 4.11. 2011. Zum Abschluss dieses Komplexes hatte der NSU-Untersuchungsausschuss am 17.3. fünf Zeugen vom BKA geladen, die mit teils sehr konkreten Ermittlungen rund um die Wohnung des NSU-Kerntrios befasst waren. Deutlich wurde, dass zahlreiche Fragen weiterhin offen sind und vom BKA auch nicht weiter behandelt werden. Mit der Erhebung der Anklage in München haben sich der Generalbundesanwalt (GBA) und das BKA auf einen Tathergang festgelegt, den es nicht mehr durch zu viele offene Fragen in Zweifel ziehen lassen will. Dass der Fall, wie ein Zeuge sagte, „ausermittelt“ sei, davon kann angesichts der nach wie vor offenen Fragen, nicht die Rede sein.
Erster Zeuge war Kriminaldirektor Heimann, stellvertretender Leiter der EG Trio beim BKA und darüber auch mit den Ermittlungen in Zwickau befasst. Zu zentralen und bisher offenen Fragen aus den ersten beiden Sitzungen des Untersuchungsausschusses konnte auch Heimann wenig Erhellendes beitragen. Aus Sicht der LINKEN ist nach wie vor die Frage nach dem Unterstützerumfeld des Trios zentral. Von Petra Pau wurde die Frage nach Ralf H. gestellt, dessen Personalausweis 2011 im Brandschutt der Wohnung in der Frühlingstraße gefunden wurde. H. war Teil der Chemnitzer Naziszene und soll nach eigener Aussage 1999 vom LfV Sachsen und laut spiegelonline im Jahr 2000 vom BfV angesprochen worden sein. Eine Zusammenarbeit habe er jedoch abgelehnt. Auf H.s Namen war in Chemnitz eine Wohnung angemietet in die Lieferungen von Nachtsichtgeräten, Pfeffersprays u.a. anderen Dingen erfolgte. Die Vermutung steht im Raum, H. habe dem Trio mit diesen Waren und einem möglichen Weiterverkauf bei der Finanzierung geholfen. Seine Handynummer fand sich übrigens unter einem Aliasnamen auch auf dem Handy des engsten Unterstützers André Eminger. Welche Kenntnis die Verfassungsschutzämter von diesen Tätigkeiten hatten, die sich zu dieser Zeit ja für die Person H. interessierten, wäre für den Ausschuss von großem Interesse aber der Zeuge konnte zur Aufklärung und zur polizeilichen Ermittlung zu H. nichts beitragen.
Das war auch bei Fragen zur Person Ralf Marschner so, der bis 2007 in Zwickau wohnte und dem Blood&Honour Spektrum angehörte. Im Brandschutt wurde ein Hinweis auf ein Geschäft von Marschner gefunden. Deutlich wurde durch den Zeugen Heimann, dass zahlreiche Anfragen der Ermittler zum Naziumfeld, die von den Verfassungsschutzämtern zu beantworten waren, über den GBA liefen. Etwa um möglichen Ermittlungen in Richtung von V-Leuten vorzubeugen oder sie besser unter Kontrolle zu haben? Hinweise darauf, dass sich auf Marschners PC die Paulchen-Panther Melodie fanden oder dass von seiner Baufirma an Tagen von NSU-Morden zu denen keine Autovermietungen durch das Trio vorliegen Autos gemietet wurden, wurden vom Zeugen als „Zufälle“ bezeichnet. Die kann es, auch gehäuft, sicher auch im NSU-Umfeld geben. Stutzig machte den Ausschuss dagegen, dass kein nachhaltiges Interesse zu erkennen war, wenigstens einige dieser Zufälle tatsächlich aufzuklären.
Auswertungen zu den Telefonaten auf das und mit dem Handy von Frau Zschäpe, der Browserverlauf des PCs in der Frühlingstraße, die Videos der vom Trio installierten Überwachungskameras in der Frühlingstraße und die Auswertung des Zeitungsarchivs zu den Mordtaten, das in der Frühlingstraße gefunden wurde waren die Themen der weiteren Zeugen. Deutlich wurde dabei die Kleinteiligkeit der Ermittlungen, die mit der Größe der BAO Trio (in Spitzenzeiten über 400 Ermittler) zu tun hat und dazu führte, dass viele Ermittler völlig den Blick für den Gesamtzusammenhang verloren. Nicht geklärt werden konnte z.B. eine vermeintliche Taxifahrt von Frau Zschäpe am 1.11.2011 zu einem Anwalt in der Polenzstraße in Zwickau. Weder wusste der Zeuge, ob mögliche Anwälte in dieser Straße ermittelt wurden, noch war ihm bekannt, dass das Trio sieben Jahre lang in der Polenzstraße gewohnt hatte.
Für viele Fragen sorgte das Surfverhalten von Frau Zschäpe am 4.11.2011, dem Tag des Auffliegens des Trios. Die Suche nach Biobauern in Zwickau u.ä. passe nicht dazu, dass gerade die Grundlage des bisherigen Lebens zerbrochen sei, so die Vertreter der Union. Suggeriert wurde allerdings, dass Frau Zschäpe bereits vom Tod ihrer Gefährten wusste, während sie noch am PC surfte. Parallel zum Untersuchungsausschuss war die Frage, wann die Meldungen aus Eisenach zuerst im Radio liefen (wo es Zschäpe nach eigener Aussage gehört haben will), auch Thema im Gericht in München. Vom BKA wurde dort ausgesagt, erste Radioberichte seien erst ab 15:30 Uhr festzustellen gewesen. Das würde das „merkwürdige“ Surfverhalten von Frau Zschäpe etwas weniger merkwürdig machen – dafür aber erneut die Frage aufwerfen, von wem sie vom Tod ihrer Gefährten erfahren hat, denn bereits gegen 15 Uhr setze sie die Wohnung in Brand.
Der Untersuchungsausschuss setzt seine Arbeit am 14. April fort und wird sich dann mit Eisenach am 4.11.2011 und den beiden Toten im Wohnmobil befassen.