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Armut und Frustration – Bilanz der Arbeitsmarktpolitik der Großen Koalition

Im Wortlaut von Sabine Zimmermann, junge Welt,

Zum Ende ihrer Amtszeit steht die Bundesregierung vor einem arbeitsmarktpolitischen Scherbenhaufen. Ein Neustart ist dringend notwendig. Die Coronapandemie hat bestehende Probleme am Arbeitsmarkt weiter verschärft. Die Zahl der Langzeiterwerbslosen liegt wieder bei über einer Million. Wie ein Brennglas hat die dramatische Krise am Arbeitsmarkt die Defizite aufgezeigt. Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld sind für viele zu niedrig, um davon leben zu können. Das Arbeitslosengeld muss erhöht und die Bezugsdauer verlängert werden. Ebenso muss auch das Kurzarbeitergeld angehoben und ein Mindestkurzarbeitergeld in Höhe von 1.200 Euro eingeführt werden.

Eine weitere Baustelle ist der zu niedrige Mindestlohn, der die Menschen nicht aus der Prekarität herausholt und Altersarmut produzieren wird. Fast jedes dritte Beschäftigungsverhältnis wird mit unter 13 Euro die Stunde vergütet. Bundesweit betrifft dies mehr als zwölf Millionen Beschäftigte. Der Mindestlohn von derzeit 9,60 Euro muss schnellstmöglich angehoben werden. 13 Euro sind erforderlich, um das Leben einigermaßen bestreiten zu können. Millionen Beschäftigte würden davon profitieren, vor allem im Osten. Mindestlöhne markieren aber nur die untere Grenze. Darüber hinausgehende Tariflöhne müssen der Regelfall sein. Die Tarifbindung muss wieder steigen. Dazu muss auch die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtert werden.

Zudem muss deutlich mehr zur Unterstützung von Erwerbslosen getan werden. Nur drei von hundert werden mit einer Weiterbildung gefördert. Oft machen Erwerbslose die Erfahrung, dass ihre Nachfragen und Bemühungen nach einer Weiterbildung zurückgewiesen werden. Viele Menschen haben mir von ihren diesbezüglichen Erfahrungen berichtet. Allesamt hochmotiviert, sich neues Wissen anzueignen und ihrem Berufsleben eine neue Richtung zu geben, dann aber angesichts der Ablehnungen resigniert und frustriert. Ein echter Rechtsanspruch auf regelmäßige Weiterbildung ist schon lange überfällig.

Das von der Bundesregierung eingeführte, mit großen Hoffnungen erwartete Teilhabeinstrument kommt gerade einmal auf gut 40.000 Plätze, zudem noch mit nicht existenzsichernder Entlohnung. Wir brauchen gute, gesellschaftlich notwendige, öffentlich geförderte Beschäftigung, um insbesondere langzeiterwerbslosen Menschen eine Perspektive zu geben. Zudem muss Hartz IV durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzt werden, die wirklich vor Armut schützt und Teilhabe ermöglicht.

Angesichts des Wahlausgangs stehen die Vorzeichen für arbeitsmarktpolitische Verbesserungen, von denen Millionen Menschen profitieren könnten, leider äußerst schlecht.

Der Text erschien am 1. Oktober 2021 in der Tageszeitung »junge Welt«.

junge Welt,