Im Windschatten von Regierungsbildung und Ministervereidigung intensivieren die Arbeitgeber-verbände aktuell ihre Angriffe auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben.
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) bläst im Auftrag ihrer Mitgliedsorganisationen, allen voran der Handelsverband (HDE), zum Sturm und hat als ersten Vorgeschmack die für den vergangene Woche Mittwoch geplante Sitzung der Mindestlohnkommission boykottiert. Die Sitzung musste daraufhin kurzfristig ins neue Jahr 2022 verschoben werden. Begründet wurde der Schritt damit, dass der Arbeitgeberverband einen solchen Eingriff in die grundgesetzlich verbriefte Tarifautonomie nicht dulde.
Problem nicht der Mindestlohn, sondern viel zu niedrige Tariflöhne
Der Handelsverband ist sich überdies nicht zu schade, das alte Gespenst des Arbeitsplatzverlusts durch höhere Löhne aus der Mottenkiste zu holen. Was stimmt ist: Gerade im Handel sind die Löhne derart niedrig, dass es bei einer Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro zu einem Eingriff ins Tarifgefüge käme. Das wiederum ist angesichts der in der Branche schwindenden Tarifbindung aber auch zwingend notwendig. Denn wenn sich Arbeitgeber durch Tarifflucht systematisch ihrer Verantwortung entziehen, muss der Staat ordnungspolitisch regulierend eingreifen – das ist ein logischer Schritt.
Arbeitgeber bei Tarifbindung in der Pflicht
Wenn es um den Mindestlohn geht, bemühen Arbeitgeber gern das grundgesetzlich verbriefte Recht der Tarifautonomie, die die Lohnfindung den Sozialpartnern überantworte. Anstatt aber im eigenen Laden aufzuräumen und in Achtung vor eben dieser Tarifautonomie die sogenannten „Ohne Tarif“-Mitgliedschaften in den Arbeitgeberverbänden zu untersagen, wettern sie gegen staatlichen Eingriff zur Absicherung des Tarifsystems nach unten hin.
Dumpinglöhnen europaweit den Riegel vorschieben
Auf europäischer Ebene übernimmt Gesamtmetall die Attacken gegen eine aktuell parallel laufende Initiative der Europäischen Union für angemessene Mindestlöhne und eine höhere Tarifbindung. Gesamtmetallchef Zander kündigte an, „mit allen politischen und juristischen Mitteln“ gegen die geplante Richtlinie vorzugehen. Der Verband, der die Metallindustrie ebenso wie die Automobil-industrie vertritt, dürfte indes weniger vom Mindestlohn selbst betroffen sein, wohl aber von der Vorgabe für eine Erhöhung der Tarifbindung.
Der vorgesehene Aktionsplan für mehr Tarifbindung soll greifen, wenn ein Mitgliedsstaat eine Tarifbindung von weniger als mindestens 70 Prozent aufweist. Auch Zander sieht darin einen – große Überraschung! – Eingriff in die Tarifautonomie. Der laufe auf eine Einschränkung der Tarifautonomie hinaus, und es sei zu befürchten, dass Allgemeinverbindlicherklärungen zunehmen könnten.
Denkbar ist aber auch, dass dem Verband ein Dorn im Auge ist, dass die Richtlinie sehr wohl auch die gesetzlichen Grundlagen für die Anpassung des deutschen Mindestlohns in der Mindestlohnkommission verändern würde. Das wiederum ist wichtig, damit die einmalige Erhöhung des Mindestlohns auch zukünftig mit der Entwicklung der Tariflöhne mithält und stabil fortgeschrieben wird.
Armutsfester Mindestlohn stabilisiert das Tarifsystem
Fakt ist: Eine Erhöhung des Mindestlohns ist weder ein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie, noch gefährdet er die Sozialpartnerschaft in Deutschland. Vielmehr stabilisiert ein armutsfester Mindestlohn von 12 Euro das Tarifsystem und unterstreicht den staatlichen Anspruch, Niedriglöhne einzudämmen. Das ist ein legitimer Schritt, um die Staatskasse von notwendigen Aufstockungsleistungen zu entbinden, die Sozialsysteme zu stärken und durch höhere Kaufkraft die Binnenkonjunktur anzukurbeln.
Die neue Regierung darf sich von diesen durchschaubaren Manövern der deutschen Arbeitgeber nicht einschüchtern lassen, sondern muss in Deutschland die geplante Mindestlohnanhebung rasch durchsetzen sowie auf europäischer Ebene mit starker Stimme für angemessene Löhne und stärkere Tarifbindung einzutreten.