DIE LINKE im Bundestag hat der Bundesregierung im Juni 2019 eine Große Anfrage zum Thema „Antimuslimischer Rassismus und Diskriminierung von Muslimen in Deutschland" gestellt. Nun hat die Bundesregierung geantwortet. Leider hat die Bundesregierung zu 17 der 128 Fragen „keine Erkenntnisse“. Bei Fragen, die Zuständigkeiten der Bundesländer betreffen, hat sie sich - anders als bei anderen Großen Anfragen - nicht die Mühe gemacht, die Erkenntnisse der Bundesländer abzufragen. Hier eine Kurzauswertung der Antwort der Bundesregierung [PDF]:
1. Rechter Terror und Gewalt
Jeden zweiten Tag ein Angriff auf eine Moschee, eine muslimische Einrichtung oder Repräsentanten
Die Bundesregierung geht für das Jahr 2019 von 184 Fällen islamfeindlich motivierter Angriffe auf Moscheen, Religionsstätten, religiöse Repräsentanten aus. Das bedeutet: Jeden zweiten Tag gibt es einen Angriff auf eine Moschee, eine muslimische Einrichtung oder muslimische Repräsentanten. Darunter sind 64 Fälle von Volksverhetzung, des Weiteren die Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen ebenso wie Körperverletzung, Bedrohung und Sachbeschädigung. Diese Fallzahlen wurden in dieser Form (Fallzahlendatei: ‚Lagebild Auswertung politisch motivierter Straftaten‘, LAPOS) erstmalig 2019 dokumentiert. Nachmeldungen sind noch möglich.
Ich meine: Die 184 Straftaten gegen Moscheen und Einrichtungen sind nicht hinnehmbar. Und: Sie sind nur Spitze des Eisbergs der islamfeindlichen Straftaten, die Muslime täglich erleben. Islamfeindliche Gewalt und Diskriminierung sind ein alltägliches Problem in Deutschland.
Dabei haben wir es bei allen Zahlen mit einem unglaublich hohen Dunkelfeld zu tun. Das bestätigen auch zahlreiche Beratungsstellen. Die Beratungsstellen sind den Betroffenen häufig unbekannt. Und Betroffene sehen oft keinen Sinn in der Meldung der Diskriminierung, weil sich ihrer Erfahrung nach dadurch nichts ändert. Hinzu kommt eine schlechte Erfahrung mit Polizei und Behörden.
Mehr als eine Gewalttat pro Woche
Die Statistik der islamfeindlichen Straftaten ist vom Jahr 2017 mit 1.095 registrierten Straftaten zum Jahr 2018 mit 950 Straftaten leicht zurückgegangen. Dabei haben gleichzeitig die Gewalttaten gegen Muslime zugenommen. Deren Zahl ist zwischen 2017 und 2018 gestiegen: Im Jahr 2017 gab es 56 Gewaltdelikte mit 38 Verletzen, im Jahr 2018 waren es 74 Gewalttaten mit 52 Verletzten. 2018 wurden auch zwei versuchte Tötungen registriert. Für 2019 liegen noch keine Zahlen vor. Mehr als 90 Prozent der islamfeindlichen Straftaten werden in der Statistik der politisch motivierten Kriminalität von rechts zugeordnet.
Die Opfer von antimuslimischer Gewalt sind überwiegend Männer, aber auch die Zahl der verletzten Frauen ist proportional gestiegen. Über die Zunahme von Übergriffen auf Kinder und Jugendliche, wie von Beratungsstellen beklagt, hat die Bundesregierung nach eigener Angabe keine Kenntnis.
Gefährdung von Muslimen nach den Terroranschlägen auf eine Moschee in Christchurch und auf die Synagoge von Halle
Die Bundesregierung hält antimuslimische Straftaten nach Christchurch und Halle durch Nachahmer für möglich und konstatiert eine grundsätzliche Gefährdung von muslimischen Personen und Einrichtungen: „Gleichwohl ist festzuhalten, dass eine entsprechende Aufbereitung solcher Ereignisse in einschlägigen wie auch öffentlichen Medien eine Wirkung auf fremden-/islamfeindlich motivierte Einzeltäter entfalten kann.“
In ihrer Antwort macht die Bundesregierung deutlich, dass sie trotzdem nicht von erhöhter Gefahrenlage ausgeht und keinen Handlungsbedarf sieht: „Informationen, die eine im Zusammenhang mit den Ereignissen in Christchurch stehende erhöhte Gefahrenlage in Deutschland begründen würden, liegen der Bundesregierung nicht vor. Dies ändert sich auch nicht nach dem antisemitisch motivierten Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019, der nach Erkenntnissen der Bundesregierung an die Amoktat vom 15. März 2019 in Christchurch angelehnt war.“
Das hält DIE LINKE für fahrlässig. Muslimische Gemeinden haben den Schutz von Moscheen mehrfach eingefordert.
Antimuslimische Gesinnung als „gemeinsamer Nenner“ der extremen Rechten
Die Bundesregierung stellt fest, dass das Thema „Islamfeindlichkeit“ neben „Zuwanderung“ ein „konstantes Aktionsfeld der rechten Szene“ bildet. „Eine antimuslimische innere Haltung oder Gesinnung ist laut Bundesregierung „dem Phänomenbereich Rechtsextremismus stets inhärent gewesen und hat sich mit der seit der 2015 gestiegenen Zuwanderung und in der Ablehnung derselben sowohl verstärkt als auch zum „gemeinsamen Nenner“ des ansonsten heterogenen rechtsextremistischen Milieus entwickelt.“
Auch das ist ein Argument dafür, die Gefährdung von Muslimen und muslimischen Einrichtungen ernst zu nehmen.
2. Diskriminierung von Muslimen
Muslime werden im Bildungsbereich, im Gesundheitswesen, auf dem Wohnungsmarkt und Arbeitsmarkt und im öffentlichen Raum diskriminiert
Die Bundesregierung erklärt, dass für sie „alle Formen der Ungleichwertigkeit und darauf bezogene Diskriminierungen bzw. gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nicht hinnehmbar“ sind. Sie verweist auf den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus von 2017.
„Die Bundesregierung verurteilt auf allen Ebenen jegliche Form von Diskriminierung auch aufgrund von Religionszugehörigkeit, und ist bestrebt, dass von Diskriminierung gefährdete Bevölkerungsgruppen durch den Staat und durch zivilgesellschaftliche Organisationen vor Diskriminierung geschützt werden.“
Sie stellt die Schlechterstellung von Angehörigen religiösen Minderheiten in Deutschland fest: „Die Bundesregierung nimmt empirische Studien und Umfragen zur Kenntnis, denen zufolge Angehörige religiöser Minderheiten wie etwa jüdische und muslimische Menschen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen Diskriminierungserfahrungen machen. Bei muslimischen Menschen betrifft dies insbesondere den öffentlichen Raum, den Bildungsbereich, den Wohnungsmarkt, den Arbeitsmarkt sowie das Gesundheitswesen.“
Frauen sind in einem besonderen Maße von antimuslimischer Diskriminierung betroffen
Das zeigen Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die die Bundesregierung in ihrer Antwort angibt. Bis Juni 2017 hatten sich dort 719 Personen aufgrund von antimuslimischer Diskriminierung beschwert. Die Mehrzahl davon waren Frauen. 76 Prozent der verbalen und körperlichen Gewaltdiskriminierungen im Bereich Öffentlichkeit und Freizeit werden von Frauen berichtet, die Kopftuch tragen.
Das ist offenbar die Folge der jahrelangen stigmatisierenden Debatten in den Medien über Frauen mit muslimischen Kopftüchern und den Islam.
Diskriminierung aufgrund von Kopftuch auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt
Die spezifische Betroffenheit von Frauen mit Kopftuch zeigt sich auch auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Die Bundesregierung beschreibt die Diskriminierung von Muslimen anhand des Berichts der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2017: „Ein bekannter Fall von Diskriminierung aufgrund muslimischer Religionszugehörigkeit betrifft die Bewerbungsabsage für Frauen, die ein Kopftuch tragen. So berichteten in einer Betroffenenbefragung im Rahmen der Studie „Diskriminierungserfahrungen in Deutschland“, die vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) erstellt wurde, insbesondere muslimische Frauen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, von als diskriminierend empfundenen Alltagserfahrungen, wie z.B. nicht erfolgten Einstellungen.“
Die Bundesregierung stellt zudem fest: „das Tragen eines Kopftuchs als Zeichen des muslimischen Glaubens ist wiederkehrend ein Hindernis beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. So ist eine häufig wiederkehrende Konstellation die Ablehnung von Bewerberinnen und Bewerbern für Wohnungen, die muslimischen Glaubens waren oder wo ein muslimischer Glaube (z. B. aufgrund eines Kopftuchs) vermutet wurde. In diesen Zusammenhängen spielt auch die Mehrfachdiskriminierung Religion/ethnische Herkunft eine große Rolle.“
Diskriminierung von Muslimen in Kitas, Schulen und Hochschulen – Die Regierung beschreibt Probleme, bleibt aber tatenlos
Auch hier stützt sich die Bundesregierung auf den Bericht der Antidiskriminierungsstelle: „Die meisten Beratungsanfragen, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Bereich der Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten erreichen, betrafen Verbote, während des Unterrichts in Schule oder Universität ein Kopftuch zu tragen. In vielen Fällen wurde außerdem von Mobbing, rassistischen oder sonstigen herabwürdigenden Äußerungen berichtet, die ausdrücklich oder vermutet die Religion zum Anlass hatten. Auch Benachteiligungen in der Leistungsbewertung oder die Ablehnung einer Anmeldung für einen Platz in der Kindertagesstätte oder der Schule aufgrund der muslimischen Religion wurden vermutet.
In der Betroffenenumfrage im Rahmen der Studie „Diskriminierungserfahrungen in
Deutschland“ im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle konnten insgesamt 1.655 Fälle von Diskriminierungserfahrungen im Bildungsbereich ausgewertet werden, wobei der Schwerpunkt auf Diskriminierungserfahrungen in der Schule und Hochschule lag (vgl. BTDrs.18/13060, S. 300 ff.).
In der Schule waren im Vergleich zu anderen geschützten Merkmalen Diskriminierungserfahrungen anhand der Religion, die wiederum insbesondere anhand der Zugehörigkeit zum Islam erfolgten, überrepräsentiert. Die Diskriminierungserfahrungen im Bildungsbereich reichten dabei von der Verweigerung eines Kitaplatzes für kopftuchtragende Mütter, über die schlechtere Leistungsbewertung von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden aufgrund der Zuschreibung einer islamischen Religionszugehörigkeit bis hin zu Mobbing aufgrund der Religion in Schule und Hochschule.“
Die Bundesregierung stellt zwar fest, dass Muslime im Gesundheits-, und- Bildungsbereich diskriminiert werden, aber erklärt sich gleichzeitig für nicht zuständig, weil dafür die Länder zuständig sind. Und: Die Bundesregierung hat sich in der Beantwortung der Fragen, die auf Diskriminierung im Gesundheits- und Bildungsbereich zielen, nicht die Mühe gemacht, die Erkenntnisse der Bundesländer in die Antworten mit einzubeziehen. Die Frage ist: Was hat die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern seit dem Bericht der Antidiskriminierungsstelle gegen die Diskriminierung im Bildungs- und Gesundheitsbereich getan?
Keine Strategie gegen Diskriminierung
Die Bundesregierung hat keine Strategie, wie Frauen mit Kopftuch auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt gegen Diskriminierung unterstützen will. Sie berichtet zwar von dem Pilotprojekt von anonymisierten Bewerbungsverfahren aus dem Jahr 2010. Sie erklärt aber nicht, ob sie anonymisierte Bewerbungsverfahren beispielsweise im öffentlichen Dienst einführen will.
Gegen die Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt hält die Bundesregierung das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hoch. Gleichzeitig erklärt sie, dass sie eine umfassende Reform des AGG ablehnt. Aber gerade das wäre notwendig: Beispielsweise braucht es ein Verbandsklagerecht im AGG, wie von Betroffenenorganisationen seit langem gefordert. Die Bundesregierung stellt auch fest, dass es einen Ausbau von Beratungsstellen braucht, zur Finanzierung dieses Ausbaus aber schweigt sie.
Die Bundesregierung müsste sich gegen die Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch stellen und die Debatte in ihre eigenen Parteien über Kopftuch-, Nikab- und Burkaverbote beenden.
Bundesregierung hält an Racial Profiling fest
Die Bundesregierung stellt fest, dass Islamfeindlichkeit häufig mit Rassismus und Frauendiskriminierung einhergeht: „Islamfeindlichkeit geht meist mit anderen Diskriminierungsformen einher. Muslimische Menschen erleben mehrdimensionale Diskriminierung vor allem in Bezug auf ihre Religionszugehörigkeit, ihr Geschlecht und ihre ethnische Zugehörigkeit.“
Bei mehr als der Hälfte der Diskriminierungserfahrungen, die aufgrund der Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung gemacht wurden, gaben die Betroffenen an, „dass gleichzeitig auch rassistische Gründe ausschlaggebend für die Benachteiligung waren.“
Die Bundesregierung möchte leider an der Möglichkeit von ‚Racial Profiling‘ festhalten. Sie erklärt, dass sie §22, Absatz 1 des Bundespolizeigesetzes, bestehen lassen möchte. Dieser Paragraf wird von vielen Migrantenverbänden kritisiert, weil er der Bundespolizei erlaubt, verdachtsunabhängig, Menschen anzuhalten. Auch die UN-Kommission gegen Rassismus CERD, empfiehlt der Bundesregierung, diesen Paragrafen abzuschaffen, weil er häufig für „Racial Profiling“ missbraucht wird, d.h. Kontrollen aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit. DIE LINKE fordert die Abschaffung des entsprechenden Paragrafen im Bundespolizeigesetz.
3. Fazit: Antimuslimischen Rassismus ächten, Gleichberechtigung des Islam in Deutschland umsetzen
Endlich beginnt auch die Bundesregierung antimuslimischen Rassismus und Diskriminierung von Muslimen als Problem zu erkennen. Aber was sie tut, kommt zu spät und ist zu wenig.
Die Bundesregierung sieht über den Ausbau des Beratungsangebots hinaus keinen Bedarf Gesetze zu ändern oder Institutionen zu schaffen. Das betrifft das Bundespolizeigesetz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, die rechtliche Gleichstellung der muslimischen Religionsgemeinschaft.
Die Bundesregierung plant kein Kapitel zur Religionsfreiheit in Deutschland in ihrem Bericht zum Stand der Religionsfreiheit weltweit, sie plant keinen Bericht zu antimuslimischem Rassismus und keinen Beauftragten.
Damit bleibt sie hinter den Maßnahmen und Initiativen zurück, die sie in Bezug auf andere Formen des Rassismus und der Abwertung unternimmt, wie beim Antisemitismus und beim Antiziganismus. Das wird dem Ausmaß des antimuslimischen Rassismus und seinem Charakter als einem gemeinsamen Nenner der extremen Rechten in Deutschland nicht gerecht. Es fehlt eine Initiative der Bundesregierung, antimuslimischen Rassismus offensiv zu bekämpfen.
Die muslimischen Verbände sind den anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland nicht gleichgestellt. Dadurch sind sie zum Beispiel beim Religionsunterricht und der Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen benachteiligt. Die Bundesregierung plant keine muslimische Militärseelsorge.
Notwendig wäre eine Ächtung von Islamfeindlichkeit und antimuslimischem Rassismus durch die Bundesregierung und den Bundestag. Es braucht Signale der Solidarität und Unterstützung an muslimische Mitbürger/innen und Religionsgemeinschaften.
DIE LINKE wird gemeinsam mit muslimischen Gemeinden, Organisationen und Verbänden, sowie Initiativen im Bereich Antidiskriminierung, Antirassismus, Menschenrechte und Religionsfreiheit beraten, welche politischen Schlussfolgerungen aus den Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Linksfraktion zu ziehen sind.