Wenn es einen gibt, der der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung in den vergangenen Jahren immer wieder unter die Arme gegriffen hat, so ist es der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy von der konservativen Volkspartei. Seine Weigerung, mit der katalanischen Regionalregierung über mehr Autonomierechte zu verhandeln, hat den Konflikt entscheidend mit vorangetrieben. Jetzt ist eine Situation entstanden, die dem Vorabend eines Bürgerkrieges ähnelt, wenn beide Seiten nicht in letzter Minute doch noch zu einer Verhandlungslösung finden. Das brutale Eingreifen der spanischen Polizeikräfte gegen die Befürworter des Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens mit weit über 800 Verletzten hat die Legitimität des spanischen Staates in der Region weiter geschwächt. Mit einem Generalstreik und friedlichen Massenprotesten haben Hunderttausende gegen die Polizeigewalt protestiert.
Es wäre jedoch weit gefehlt, den Separatisten lediglich altruistische Motive zu unterstellen. Viele Unabhängigkeitsbefürworter möchten schlicht nicht weiter für ärmere Regionen Spaniens zahlen. Tatsächlich waren und sind die verschärften innerspanischen Verteilungskämpfe nach der Wirtschafts- und Finanzkrise für eine Zuspitzung der Situation mit verantwortlich.
Frage der Legitimität
Auch, dass bei dem Referendum kein Mindestquorum zu Grunde gelegt wurde, lässt Zweifel an der Legitimität der demokratischen Entscheidung erkennen. Sicher, über 90 Prozent haben sich für die Unabhängigkeit entschieden, aber bei einer Wahlbeteiligung von knapp über 42 Prozent der Bevölkerung fehlt eine absolute Mehrheit der Stimmen für eine derart gravierende Entscheidung selbst in Katalonien. Und über territoriale Loslösungen muss zudem die Bevölkerung des Gesamtstaates befinden.
Es mutet geradezu grotesk an, wenn Grüne und Liberale im Europäischen Parlament nach der EU-Kommission als Vermittler in diesem Konflikt rufen, im Wissen, dass dies die institutionelle Ordnung der EU sprengen würde und die Zentrifugalkräfte in Europa noch weiter beschleunigen könnte.
Mit zweierlei Maß
Zudem wird bei den europäischen Befürwortern des katalanischen Separatismus oft mit zweierlei Maß gemessen. Während den Bewohnern der Krim, von Donezk oder Lugansk eine Selbstbestimmung unter Drohungen von Gewalt und Sanktionen versagt wird, gelten für die Katalanen andere Maßstäbe. Wer gar eine ethnische Parzellierung Europas verbunden mit einer Balkanisierung als zukunftsträchtiges Europa der Regionen verklärt, hat nur wenig verstanden. Die Gründung neuer Nationalstaaten in Europa auf immer kleinerer territorialer Grundlage ist jedenfalls kein progressives Element per se, sondern eher dazu angehalten, die Arbeiterklasse nationalistisch zu spalten.
DIE LINKE hat einseitige Unabhängigkeitserklärungen stets kritisiert, nicht nur weil sie gegen das Völkerrecht verstoßen, sondern weil sie die Quelle für Bürgerkriege um Ressourcen und neue Grenzen sein können, die in der Folge Nachteile für alle Menschen in der Region bringen.
Stopp der Rüstungsexporte
Vor dem Hintergrund eines heraufziehenden Bürgerkrieges in Katalonien sind Regional- und Zentralregierung gefordert, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, um über eine gemeinsame Lösung zu beraten. OSZE-Beobachter könnten zwischenzeitlich für eine Beruhigung in der Region sorgen.
Die Bundesregierung ist aufgefordert alle Exporte von Rüstungs- und Repressionsgütern zu unterlassen. Sie darf nicht weiter die Schritte hin zu immer mehr Eskalation der Regierung Rajoy unterstützen. Ein Sanktionieren von Unabhängigkeitsbewegungen in Europa wird nicht helfen die Konflikte zu lösen. Wir brauchen eine radikale Umverteilungspolitik zu Lasten der Reichen in Europa, denn die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten.