Angesichts der sich zuspitzenden Lage in Syrien hat Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch einen Stopp der Waffenexporte gefordert. "Wenn wir sehen, dass durch Afrin ein deutscher Leopard-Panzer rollt, dann wissen wir, dass es eine Mitverantwortung gibt", sagte Bartsch im Dlf.
Dietmar Bartsch im Gespräch Sandra Schulz
Sandra Schulz: In der vergangenen Woche ist Angela Merkel im Bundestag ja wieder zur Bundeskanzlerin gewählt worden - zum vierten Mal. Das Kabinett der nächsten schwarz-roten Regierung wurde vereidigt. Und seit einigen Tagen hagelt es Äußerungen und Vorstöße der beiden neuen Minister Spahn und Seehofer. Der CSU-Mann Seehofer hatte als Innen- und Heimatminister gesagt, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, und eine Verlängerung der Grenzkontrollen angekündigt.
Und Jens Spahn, neuer CDU-Gesundheitsminister, hat für viel Aufregung gesorgt mit seiner These, dass mit Hartz IV jeder habe, was er zum Leben brauche. Und am Wochenende hat er dann noch Wirbel in die Diskussion um den Paragraphen 219a Strafgesetzbuch gebracht, von dem die einen ja sagen, er verbiete Werbung für Abtreibungen, von dem die anderen aber eine Kriminalisierung von Informationen über Abtreibungen kritisieren, die ihn darum entschärfen oder abschaffen wollen.
Am Telefon ist Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke. Seine Co-Vorsitzende Sahra Wagenknecht haben wir gerade schon im Beitrag gehört. Schönen guten Morgen, Herr Bartsch.
Dietmar Bartsch: Guten Morgen. Ich grüße Sie.
Schulz: Jetzt startet Angela Merkel in ihre vierte Kanzlerinnen-Amtszeit mit der Regierungserklärung. Wie groß ist Ihre Vorfreude auf Angela Merkel 4.0?
Bartsch: Vorfreude kann ich, ehrlich gesagt, nicht empfinden, denn man muss ja einfach noch mal konstatieren, dass sich die Wahlverlierer des letzten Jahres gefunden haben. Die Union hat 8,6 Prozent verloren, die SPD hat 5,2 Prozent verloren, und die finden sich jetzt in einer Notkoalition zusammen.
Das prägt auch den Koalitionsvertrag und ich habe Sorge, dass die erste Woche, die wir erlebt haben, mit den Äußerungen, die eben bei Ihnen genannt worden sind, von Seehofer, von Spahn, dass das die Atmosphäre der nächsten vier Jahre bestimmt, und das wäre überhaupt nicht gut fürs Land und für Europa.
Schulz: Jetzt haben wir uns heute Morgen verabredet, Herr Bartsch, weil wir auf die ernste Lage in Syrien schauen wollen, in Afrin. Da gibt es ja auch aus Ihrer Partei scharfe Kritik an der Bundesregierung, daran, dass das türkische Vorgehen nicht klar genug verurteilt würde.
Bartsch: Ja.
Schulz: Nach allem, was wir inzwischen wissen über den türkischen Präsidenten Erdogan, gehen Sie denn davon aus, wenn es Kritik aus Deutschland gäbe, dass Erdogan umgehend abziehen würde aus Afrin?
Bartsch: Das Problem ist ja, dass es nicht nur keine Kritik gibt. Es ist so, dass sehr, sehr vage überhaupt etwas gesagt wird. Und schauen Sie: Wenn wir sehen, dass durch Afrin ein deutscher Leopard-Panzer rollt, dann wissen wir, dass es eine Mitverantwortung gibt. Allein in den letzten Wochen seit dem Einmarsch der Türkei nach Syrien wurden 20 Exportgenehmigungen für Waffen an Erdogan durchgeführt. Das ist doch ein unhaltbarer Zustand.
Wir haben eine Mitverantwortung. Und es ist ein NATO-Partner. Ich finde, dieses Schweigen der Bundesregierung ist peinlich und ist unverantwortlich. Dort finden Massaker statt. Da kann ich nun wirklich überhaupt nicht erkennen, warum man hier zurückhaltend sein soll. Was Erdogan dann macht, ist eine andere Frage, aber deutliche Maßnahmen wären notwendig wie der Stopp der Waffenexporte.
Schulz: Der Punkt ist, glaube ich, angekommen. Das verstehen sicherlich hier im Land auch viele. Aber die Frage bleibt ja, welche Regularien, welche Mittel hätte die Bundesregierung dann in der Hand, um Erdogan zu stoppen?
Bartsch: Ich glaube, dass es dort eine breite Palette gibt. Wenn wir alle Bundeswehrsoldaten aus der Türkei wirklich abziehen, wenn wir wirklich sagen, Stopp mit Waffenexporten - und er hätte keine Leopard-Panzer, um das mal klar zu sagen, wenn Deutschland die nicht exportieren würde...
Schulz: Das sind ja teilweise Lieferungen aus den 90er-Jahren. Den Punkt hatten wir ja gerade schon.
Bartsch: Na ja. Nein, das sind ganz aktuelle Lieferungen leider. Aber es gibt natürlich auch die Möglichkeiten, Druck auszuüben über klare Positionierungen. Gabriel hat ja eine Reisewarnung abgegeben. Das war wirkungsvoller. Deswegen hat es überhaupt ein Einlenken von Erdogan gegeben.
Aber wir können uns doch nicht damit abfinden. Das ist doch der Kern. Und eine klare Positionierung mit den europäischen Partnern würde bei Erdogan zu Veränderungen führen.
Schulz: Wenn wir aufs Gesamtbild schauen in Syrien, wäre den Menschen, wäre den Zivilisten im Land nicht viel mehr geholfen, wenn der russische Präsident Putin aufhören würde, den syrischen Präsidenten Assad zu unterstützen, der ja seine eigene Bevölkerung grausamst bekämpft?
Bartsch: Auch die Situation in Ost-Ghouta und was dort von verschiedensten Parteien gemacht wird, einschließlich auch Russlands, ist so überhaupt nicht zu akzeptieren. Endlich müssen die ständigen Sicherheitsratsmitglieder, in besonderer Weise die Vereinigten Staaten und Russland, müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Denn das trifft ja für Afrin zu, wo es selbstverständlich mit Billigung auch der Amerikaner läuft, was die Türkei macht, und was in Ost-Ghouta läuft, das läuft auch mit Billigung der Russen.
Wir brauchen endlich eine Lösung, die die Menschen im Blick hat. Diese Katastrophe, die dort abläuft, der kann man doch nicht einfach nur tatenlos zusehen. Deshalb: Da wünsche ich mir viel, viel mehr Engagement der Bundeskanzlerin im Rahmen der NATO, im Rahmen der Bündnispartner, damit hier wirklich endlich etwas passiert.
Schulz: Jetzt sind wir aber ja bei Ihnen und bei Ihrer Position, und wenn ich da höre, Sie sagen, das ist überhaupt nicht zu akzeptieren, ist das nicht auch eine ziemlich schwach dosierte Kritik, wenn wir vergleichen die Wortwahl von Sahra Wagenknecht, die die Waffenlieferungen als ungeheuerlichen Wahnsinn bezeichnet? Ist das, was Präsident Putin in Syrien macht, nicht auch allermindestens ungeheuerlicher Wahnsinn?
Bartsch: Es ist sowohl als auch, denn Leidtragende ist die Zivilbevölkerung. Deswegen muss es Lösungen geben. Das was dort jetzt abläuft, und zwar an verschiedenen Fronten - es gab ja ein paar Fenster, wo man eine Chance gesehen hat, dass das Land vielleicht befriedet wird. Aber da kommt man immer wieder auf die Grundfragen: Warum kann der Krieg geführt werden? Wer führt diesen Krieg? Da muss die internationale Gemeinschaft wirklich alles Mögliche tun.
Die Kurdinnen und Kurden, um ein Beispiel zu sagen, werden wieder einmal auf dem Tablett weltpolitischer Schachereien geopfert. Ich finde das einen unhaltbaren Zustand. Die Wortwahl, die kann ich so scharf wählen, wie Sie wünschen. Das hilft ja nur im Interview nicht weiter. Ich fordere die Regierung auf zu handeln und sage noch mal: Es sind NATO-Partner, die hier agieren. Aber es gilt genauso für alle dort agierenden Kriegsparteien.
Schulz: Geht es da wirklich jetzt nur um die Wortwahl? Das ist ja Position der Linken, sich um ein besseres Verhältnis mit Russland zu bemühen. Und wenn ich das richtig verstehe, dann gehört es dazu, das Vorgehen Putins nicht laut und deutlich zu kritisieren. Da ist meine nächste Frage, wenn ich mir das Bild im Bundestag anschaue: Wie unterscheiden Sie sich in der Haltung zu Putin eigentlich von der AfD?
Bartsch: Wissen Sie, wir haben eine Haltung zu Russland und auch zu Putin gehabt, da gab es die AfD noch gar nicht. Aber das ist doch für uns auch kein Kriterium, was die AfD sagt.
Schulz: Für viele Wähler aber möglicherweise.
Bartsch: Ich will Sie deutlich korrigieren! Es ist nicht so, dass wir etwa Putin nicht kritisieren. Wir kritisieren die Sanktionen und glauben, dass auf diesem Weg nicht etwa eine Verbesserung der Beziehungen erreicht werden kann und vor allem nicht die großen internationalen Fragen geklärt werden können. Ich glaube, dass der Weg falsch ist zu sagen, wir müssen hier mit verbaler Kraftmeierei, sogar mit militärischen Drohungen agieren. Das macht Frau Merkel Gott sei Dank nicht.
Aber das ist hier nicht die entscheidende Frage. Für uns gelten Menschenrechte überall und da gibt es überhaupt keine Differenzierung. Wo immer sie verletzt werden, sagt Die Linke klar und deutlich, das akzeptieren wir nicht. Was wir nicht mitmachen sind Unterstellungen, die nicht bewiesen sind, und sind Vorverurteilungen. Wir wollen Sachaufklärung und da ist unsere Position sehr stringent. Wir sind nicht die Botschafter Russlands, sondern wir haben eigenständige Positionen und kritisieren da, wo es notwendig ist.
Schulz: Das habe ich verstanden, Herr Bartsch. Aber meine Frage war ja: Wenn wir jetzt über die Haltung zu Putin und zu Russland sprechen, weil das sicherlich für viele Hörer interessant ist, wo ist der Unterschied zwischen der Haltung der Linken, die gegen Sanktionen ist wie auch die AfD, die sich bemühen will um ein besseres Verhältnis, wo sind da die Unterschiede zur AfD?
Bartsch: Ich wiederhole das gerne noch mal. Ich richte meine Politik nicht nach der AfD aus. Die interessiert mich nicht. Ich kenne die Position der AfD auch nicht. Ich kann Ihnen aber eines sagen: Gegen Sanktionen ist auch zum Beispiel die deutsche Industrie. Gegen diese Sanktionen sind viele und ich bin sicher, dass sie in dieser Legislaturperiode mindestens aufgeweicht, wenn nicht sogar abgeschafft werden.
Meine Politik richtet sich aus an der neuen, nicht mehr Großen Koalition. Da haben wir als Opposition zu agieren. Was andere Parteien dazu formulieren - ich habe sehr grundsätzliche Unterschiede zur AfD in fast allen Fragen. Und wenn sie gegen die Sanktionen ist, dann ist das so. Das habe ich überhaupt nicht zu kommentieren.
Schulz: Dietmar Bartsch, Linken-Fraktionschef im Bundestag und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für das Interview.
Bartsch: Ich danke Ihnen.