Bücher, Filme, Fotos und Musikstücke sind nach geltendem Recht bis zu 70 Jahre über den Tod des Urhebers hinaus geschützt. Häufig liegen die Verwertungsrechte an diesen Werken aber nicht mehr bei den eigentlichen Schöpfern, sondern bei Dritten. Sie sind in Verträgen übertragen worden: teils zeitlich begrenzt, teils für immer; teils umfassend, teils nur für bestimmte Nutzungsarten. Schon wenige Jahre nach dem Tod der Urheber ist oft unklar, wen man eigentlich fragen müsste, um das Werk wirtschaftlich zu verwerten. Es gilt dann als verwaist. Und verstaubt für immer in den Archiven.
Verwaiste Werke sind ein Nebeneffekt der Zersplitterung des Urheberrechts und der überlangen Schutzfristen. Deshalb suchen Experten seit Jahren fieberhaft nach einem Kompromiss: Wie kann man verwaiste Werke wieder verfügbar machen, ohne gegen das Urheberrecht zu verstoßen?
DIE LINKE hat bereits 2011 einen Gesetzentwurf für eine sogenannte Schrankenregelung vorgelegt. Eine solche Ausnahmeregelung würde es Museen, Archiven und anderen nicht-kommerziellen Einrichtungen erlauben, verwaiste Werke wieder zugänglich zu machen. Ein Jahr später hat auch die Europäische Kommission eine Richtlinie verabschiedet, die die Nutzbarmachung verwaister Werke erleichtern soll.
2013 hat dann der Bundestag eine Änderung des Urheberrechtsgesetzes verabschiedet. Damit sollte die nichtkommerzielle Nutzung von Büchern, Musikstücken und Filmen erlaubt werden, die vergriffen sind oder deren Rechteinhaber nicht mehr zu ermitteln sind. Mit geregelt wird auch der Umgang mit "verwaisten Werke", die noch nicht erschienen oder gesendet, aber der Öffentlichkeit mit Zustimmung des Rechtsinhabers zugänglich sind. Die Ergänzung bezieht sich etwa auf Manuskripte, die in Bibliotheken einsehbar sind.
Mit dieser Regelung für verwaiste Werke sollte zugleich die EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Bibliotheken, Archiven und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollten so geeignete Vorlagen digitalisieren und ins Internet stellen können. Voraussetzung: Der Veröffentlichung muss eine "sorgfältige Suche" nach möglichen Rechteinhabern vorausgehen. Wird doch noch ein Rechtsinhaber ausfindig gemacht, hat er Anspruch auf eine "angemessene Vergütung".
Die Rechte an vergriffenen Werken sollen die Verwertungsgesellschaften verwalten. Voraussetzung ist, dass sie vor 1966 erschienen sind und sich im Bestand öffentlicher Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen oder Archiven befinden.
Die Opposition lehnte diesen Vorstoß 2013 geschlossen ab, da er ihr nicht weit genug geht. Die Praxis zeigt, dass diese Bedenken berechtigt waren, gerade die vorausgesetzte "sorgfältige Suche" nach etwaigen Rechteinhabern erweist sich in der Praxis für viele Institutionen wie Bibliotheken und Archive als nicht leistbar.
2016 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine französische Bestimmung für unzulässig erklärt, die eine Digitalisierung und Verwertung von vergriffenen Büchern durch eine Verwertungsgesellschaft vorsieht - (Urteil Az.: C-301/15). Neben der französischen kann nun auch die deutsche Regelung zu verwaisten und vergriffenen Werken von dem Urteil betroffen sein.
Verwaiste Werke sind ein Teil unseres kulturellen Erbes. DIE LINKE setzt sich dafür ein, dieses Erbe so umfassend und einfach wie möglich zugänglich und verfügbar zu machen. Dafür muss eine entsprechende Regelung einfach und praktikabel sein. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass verwaiste Werke in Zukunft gar nicht erst entstehen.
Es fehlt aber an geeigneten europäischen Rechtsgrundlagen für die Digitalisierung und Nutzbarmachung unseres gemeinsamen kulturellen Erbes. Die zurzeit diskutierte europäische Urheberrechtsreform setzt hier an der richtigen Stelle an, als Paket mit vielen strittigen und problematischen Regelungen ist ihr weiterer Fortgang aber ungewiss.
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