Früher in der Bundesrepublik noch undenkbar, aber längst zur Normalität geworden: Menschen, die Mülleimer durchsuchen auf der Suche nach Pfandflaschen. Menschen, die an Tafeln für Nahrungsmittel Schlange stehen. Das ist Armut in Deutschland heute. In einem der reichsten Länder der Welt ist Armut ein nicht zu tolerierendes und vermeidbares Phänomen.
Nach Informationen des Statistischen Bundesamtes ist der Anteil der von Armut betroffenen Menschen seit Ende der 1990er Jahre massiv angestiegen, von rund 11 Prozent auf rund 16 Prozent im Jahr 2021. Die Armutsquote bezeichnet den Anteil der Bevölkerung, der weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat. Offiziell wird dies meist verharmlosend nur als „Armutsrisiko“ oder „Armutsgefährdung“ bezeichnet. Tatsächlich ist diese Lücke zum mittleren Einkommen aber so groß, dass man nicht nur von einem „Risiko“ sprechen kann. Zum Beispiel verkürzt Armut die Lebenserwartung deutlich, so stellt es das Robert-Koch-Institut fest: Arme Männer leben durchschnittlich fast 5 Jahre kürzer als Männer mit mittlerem Einkommen, arme Frauen rund drei Jahre kürzer. Der Unterschied zu den höchsten Einkommensgruppen (mit mehr als 150 Prozent des Durchschnittseinkommens) liegt für Männer sogar bei 9 Jahren.
Die Zustände verhärten sich: Wer einmal unter die Armutsgrenze gelangt ist, bleibt immer öfter länger arm: Der Anteil dauerhaft armer Menschen an allen Armen betrug 1998 noch 20 Prozent und liegt jetzt mehr als doppelt so hoch bei 44 Prozent (Stand: 2018). Während insbesondere Menschen im oberen Teil der Einkommensverteilung, aber auch aus der Mitte Einkommenszuwächse verzeichnen konnten, blieben Zugewinne für die Menschen am unteren Ende aus.
Besonders betroffen von Armut sind Arbeitslose, Alleinerziehende (41 Prozent), Menschen mit Hauptschulabschluss und ohne Berufsabschluss (35 Prozent) und Menschen mit Migrationshintergrund (29 Prozent). Menschen im Osten des Landes sind stärker von Armut bedroht als im Westen. Selbst wer Arbeit hat, ist vor Armut nicht sicher: Nach Daten des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung waren rund 10 Prozent der Menschen arm trotz Erwerbstätigkeit. Die Agenda 2010, allen voran die Hartz-Reformen zeigen also noch immer ihre „Erfolge“: Armut trotz Erwerbsarbeit, Leistungskürzungen bei Erwerbslosigkeit (Hartz IV) und im Alter (Absenkung des Rentenniveaus).
Zusätzliche Sorgen verursachte die Corona-Pandemie: Vor allem Alleinerziehende, Selbstständige sowie einfache Arbeiter:innen und einfache Angestellte erlebten finanzielle Probleme. Die Preissteigerungen, u. a. bei Lebensmitteln, Strom und Gas verschärfen diese Probleme.
Gleichzeitig verstärkte die Coronakrise den Effekt, dass die Bildungschancen vom Einkommen der Eltern abhängen: Fürs Online-Lernen braucht man Computer und Tablets. Aber Familien mit höherem Einkommen besitzen im Durchschnitt mehr Endgeräte, während Familien mit niedrigen Einkommen oft nicht für jedes Kind einen Computer haben. So standen Familien mit hohem monatlichem Haushaltsnettoeinkommen (5.000 bis unter 18.000 Euro) Anfang 2020 im Durchschnitt vier PCs zur Verfügung. In der untersten Einkommensgruppe (unter 2.000 Euro) waren es durchschnittlich zwei Geräte.
Die Fraktion DIE LINKE betont: Armut und soziale Ausgrenzung sind keine Naturereignisse, sondern haben gesellschaftliche Ursachen. Das heißt aber auch, dass sie bekämpft werden können. Der profitorientierte Kapitalismus produziert systematisch soziale Ungleichheit, Ausgrenzung und Armut. Dabei ist Armut auch ein demokratisches Problem: Politische Entscheidungen richten sich zunehmend nach den Interessen der oberen Einkommensschichten; die Anliegen der armen Bevölkerungsgruppen werden systematisch ausgeblendet – so stellt es der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung fest. Als Folge sinkt das Vertrauen armer Menschen in die Demokratie. Ein positives Zeichen ist, wie mutig sich seit 2022 Menschen unter dem Motto #IchBinArmutsbetroffen zu Wort melden und für ihre Rechte eintreten.
Die herrschende Politik bekämpft Armut nicht oder nicht ausreichend. So wurde zwar der gesetzliche Mindestlohn angehoben – auch auf Druck der LINKEN –, genügt aber trotzdem für viele Familien nicht. Und auch nach der Bürgergeld-Reform liegen die Regelsätze immer noch unterhalb der Armutsgrenze.
Dem gilt es durch einen Politikwechsel und eine Umverteilung von oben nach unten entgegenzutreten:
- Der gesellschaftliche Reichtum muss umverteilt werden. Deshalb fordert die Fraktion DIE LINKE ein gerechtes Steuersystem, das auch die Nutznießer des Finanzmarktkapitalismus zur Kasse bittet. Eine Vermögensteuer in Höhe von 5 Prozent auf alle Vermögen oberhalb von einer Million Euro ist hier ein zentrales Instrument. Die Einkommenssteuer wollen wir reformieren: Kleinere und mittlere Erwerbseinkommen sollen entlastet werden, hohe sollen hingegen deutlich stärker besteuert werden.
- Arbeit muss vor Armut schützen. Deshalb brauchen wir die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 13 Euro pro Stunde und eine Lohnentwicklung, die Beschäftigte am wirtschaftlichen Fortschritt beteiligt.
- Die sozialen Sicherungssysteme müssen im Alter oder bei Arbeitslosigkeit, aber auch bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit den Lebensstandard sichern und zuverlässig vor Armut schützen. Das Existenzminimum muss armutsfest und sanktionsfrei sein.
- Kinder und Jugendliche sollen eine eigenständige Kindergrundsicherung erhalten, die ihre individuellen und vielseitigen Bedarfe deckt. Außerdem muss stärker in Bildung, öffentliche Kinderbetreuung, beitragsfreie Schulmittagessen und Freizeitangebote investiert werden.
- Die Arbeitsmarktpolitik muss sich daran orientieren, Menschen zu qualifizieren und in gute Arbeit zu vermitteln. Dazu muss insbesondere in Aus- und Weiterbildung und einen Öffentlichen Beschäftigungssektor investiert werden.