Für Schüler:innen, Lehrkräfte und Eltern bedeutet Corona eine enorme Belastung. Jetzt immer noch den Schwerpunkt auf Prüfungen und Leistungsbewertungen (Klausuren, etc.) zu legen, täuscht einen Regelunterricht vor, der der Ausnahmesituation in den Schulen nicht entspricht. Der hohe Prüfungsdruck gegenüber den Schüler:innen ist in Krisenzeiten wie diesen nicht zu rechtfertigen. Stattdessen sind jetzt Alternativen zu Prüfungen und Notenbewertungen notwendig. In Pandemiezeiten geht es um den Erhalt von Lernfreude und Bildung, nicht um Messen und Bewerten. Schule sollte ein Ort der breiten und tiefen Bildung werden und nicht länger auf das Pauken von abfragbarem Wissen reduziert werden. Das durch die PISA-Studien angestoßene „Bulimielernen“ für Prüfungen, Abschlüsse und Schulleistungsvergleiche steht einem emanzipatorischen Verständnis von Bildung entgegen, das auf Selbstständigkeit, Mitmenschlichkeit, Vernunftfähigkeit sowie auf unabhängiges und kritisches Denken ausgerichtet ist. Junge Menschen sollen gefestigte und (selbst-)reflektierende, also mündige Bürger:innen werden. Bildung darf nicht länger als eine Anpassungsleistung an Arbeitsmarktanforderungen angesehen werden. Die derzeitige Leistungs- und Prüfungskultur steht aber im Widerspruch dazu, mithilfe von (Schul-)Bildung junge Menschen zu mündigen und kritischen Bürger:innen zu verhelfen.
Die Coronakrise bietet die Chance, den jahrelangen Umbau der Schulbildung nach ökonomischen Prinzipien zu stoppen und darüber nachzudenken, worum es bei Bildung eigentlich gehen soll. Dazu gehört auch, das Prüfungswesen insgesamt zu hinterfragen. Denn das System der vergleichbaren Abschlüsse und zentraler Prüfungen wird dem Unterschied zwischen gleichwertiger Bildung und identisch produziertem Wissen überhaupt nicht gerecht. Für Prüfungen wird meist nur Wissen gepaukt, das schnell wieder vergessen wird. Das Bildungsziel muss jedoch sein, zu befähigen, zu studieren oder eine Ausbildung zu beginnen und dauerhaft in einer komplexen und sich schnell verändernden Gesellschaft zu bestehen – und zwar für alle Schüler:innen unabhängig von ihrer Herkunft und ihren Voraussetzungen. Nur so erreichen wir gleichwertige und damit vergleichbare Bildung für alle.
Die Bewertung von Schüler:innenleistungen muss grundsätzlich neu gedacht werden. Dazu gehören:
- flexible Schuleingangs- und Ausgangsphasen: wer am Anfang und am Ende seiner Bildungsbiographie länger braucht, bekommt die Zeit und wird nicht das Gefühl eines Verlierers vermittelt bekommen,
- alternative Formen der Leistungsbeurteilungen: beispielsweise Portfolios, Kombinationen von Selbst- und Lehrerbeurteilungen, Gruppenbewertung von kooperativ erbrachten Leistungen oder auch Verbalzeugnisse.
Was ist im Pandemieschuljahr denkbar?
- alle Abschlussprüfungen werden für dieses Jahr ausgesetzt. Abschlusszeugnisse, die für die Aufnahme eines Studiums oder einer vollzeitschulischen Ausbildung benötigt werden (für Bewerbungen um eine Lehrstelle sind sie laut BBiG ohnehin nicht nötig) werden durch Worteinschätzungen oder andere Verfahren ersetzt – zum Beispiel könnte das Zeugnis der 9., 11. oder 12. Klasse als Bewerbungsgrundlage dienen,
- Klassenarbeiten und Klausuren werden nicht geschrieben. Gelegentliche Tests dienen nur der
Einschätzung des Lernerfolges und für die Initiierung notwendiger Unterstützungsmaßnahmen, - Schüler:innen, die unbedingt geprüft werden möchte, sollten die Möglichkeit der freiwilligen Wiederholung von Prüfungen erhalten, wenn sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind. Das hat den Vorteil, dass nicht alle zur gleichen Zeit dasselbe leisten müssen, sondern nach individuellen Lernmöglichkeiten sich zur Prüfung melden können. Dieses Modell wäre auch grundsätzlich für die Zeit nach der Pandemie denkbar.