Das war eine Premiere. Noch nie hatte Bodo Ramelow – seitdem er der erste Mann im Thüringer Land ist – sein Rederecht im Bundestag wahrgenommen. An diesem 10. Mai 2019 wollte er es unbedingt. Weil es »schön wäre«, wie es in seiner Rede heißt, »wenn wir im 30. Jahr des Mauerfalls den Menschen im Osten sagen können: Wir reden nicht nur über Gerechtigkeit, sondern wir arbeiten gemeinsam daran, sie herzustellen.« Gemeinsam – das ist Ramelow wichtig. Er erläutert den Antrag der Fraktion DIE LINKE, die Rentenanteile, die sich Frauen und Männer zu DDR-Zeiten zusätzlich zu ihrer Rente erarbeitet und angespart haben, nach drei Jahrzehnten auch endlich anzuerkennen. Insgesamt sind 17 Berufsgruppen betroffen. Künstler sind dabei, mithelfende Familienmitglieder, medizinisches Personal, Leute von der Bahn, Beschäftigte von Hochschulen, Handwerker, Selbstständige. Und ja, auch die geschiedenen Frauen (siehe Beitrag Seite 6). Die Altersansprüche der Genannten fielen nach einer kurzen Übergangsfrist ganz weg oder sie wurden gekürzt oder schlicht vergessen. Das könne »passieren«, sagt Bodo Ramelow. In den 1990er Jahren habe man »in einer Geschwindigkeit Entscheidungen getroffen, die man mit mehr Zeit so nicht getroffen hätte«. Zurückdrehen lässt sich nichts, aber fast 30 Jahre später gingen Erkennen und Anerkennen. Dazu gehört halt, dass sehr viele verschiedene, ganz normale Berufstätige mit ihrer Rente in der Bundesrepublik durch den Rost gefallen sind.
Mehr als eine Stunde lang wird debattiert. Die CDU zieht sich auf die »statistische Ostdurchschnittsrente« zurück. Die aber ist ein Papiertiger, eine Summe, die über die tatsächlichen Monatsrenten gar nichts aussagt. Die Grünen plädieren für einen Ausgleichs- und Entschädigungsfonds in Sachen der in der DDR geschiedene Frauen. Die FDP balanciert so dazwischen, sagt ja, mal schauen, Hauptsache die Kassen werden nicht belastet. Und die SPD wünscht sich eine »gesellschaftliche Befriedung«, möchte gleichzeitig weg von den Maximalforderungen. Sie glaubt an die Regelung für Härtefälle in der Grundsicherung. Dazu soll es im Dezember dieses Jahres einen Vorschlag geben.
Gut, sagt Bodo Ramelow, aber das stünde seit über einem Jahr bereits im Koalitionsvertrag. Zitat: »Für Härtefälle in der Grundsicherung im Rentenüberleitungsprozess wollen wir einen Ausgleich durch eine Fondslösung schaffen.« Unterschrieben wurde der Vertrag am 12. März 2018. Passiert ist seitdem nichts. Und die Zeit läuft. Gegen alle Menschen, deren Lebensbiografien bis heute rentenrechtlich nicht anerkannt wurden, und das nur, weil sie dem westdeutschen Versorgungssystem fremd waren.
Gisela Zimmer