Wer die Ursachen von Flucht beseitigen will, muss auch Armut und Hunger in der Welt bekämpfen.
Sechzig Millionen Flüchtlinge weltweit stammen laut Bericht der Vereinten Nationen aus zehn Ländern: Syrien, Afghanistan, Somalia, Sudan, Südsudan, Republik Kongo, Myanmar, Zentralafrikanische Republik, Irak, Eritrea. In diesen Ländern leidet die Bevölkerung unter Krieg und Bürgerkrieg oder unter extremer Armut – in vielen Fällen trifft beides zu. „Wo Hunger herrscht, ist auf Dauer kein Friede“, sagte Willy Brandt im September 1973 anlässlich des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen. Diese Aussage gilt leider bis heute. Neben Krieg und Bürgerkrieg zählen Armut und Not zu den wichtigsten Gründen, weshalb Menschen ihre Heimat verlassen. Rund 800 Millionen Menschen auf der Welt müssen hungern. Jedes vierte Kind auf diesem Planeten ist chronisch unterernährt. Hunger ist das größte Gesundheitsrisiko: Jedes Jahr sterben mehr Menschen an Hunger als an Aids, Malaria und Tuberkulose zusammen. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2014 leben weltweit 1,2 Milliarden Frauen, Männer und Kinder in extremer Armut. Sie müssen mit weniger als einem Euro pro Tag überleben. Diese Armut hat auch strukturelle Gründe. Sie resultiert aus der Ungleichheit im Handel, die ein Vorankommen der Staaten des Südens behindert. Der Globale Süden liefert bis heute vor allem die Rohstoffe für die Industriestaaten im Norden. Dort konzentrieren sich rund 90 Prozent der verarbeitenden Industrie, die Wohlstand und Arbeitsplätze schafft. Trotz vielfältiger Kritik ändert sich seit Jahren nichts – im Gegenteil: Im Jahr 2010 präsentierte die Bundesregierung eine „Rohstoffstrategie“. Erklärtes Ziel: „Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands“. Von der Entwicklung der exportierenden Staaten ist keine Rede. Tatsächlich zementiert die Politik der EU die ökonomische Ungleichheit zwischen Nord und Süd. So verhindern beispielsweise Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Staaten im afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum Schutzmaßnahmen für die nationalen Wirtschaften. Infolgedessen unterliegen lokale Produzenten und Kleinbauern im Wettbewerb mit internationalen Konzernen. Nur wenigen Ländern des Südens ist es gelungen, die postkoloniale Ordnung zu durchbrechen. Wer Ursachen von Flucht beseitigen möchte, muss Armut und Hunger in der Welt bekämpfen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Migration auch Entwicklungsmöglichkeiten für die Herkunftsländer schaffen kann: Wenn die Ausgewanderten Arbeit und Einkommen haben und Geld in die Heimat transferieren, leisten auch sie einen Beitrag, um die Ungleichheit zwischen dem Norden und dem Süden zu überwinden.