Nächstes Jahr im Herbst schauen die Menschen aus Ostdeutschland auf 30 Jahre friedliche Revolution. Auf einen gesellschaftlichen Umbruch, den sie mutig auf den Straßen und Plätzen erkämpft haben. Doch das mit der darauffolgenden deutschen Einheit abgegebene Versprechen auf gleichwertige Lebensverhältnisse ist bis heute nicht eingelöst. Wir fordern von der Bundesregierung eine ehrliche Bestandsaufnahme über den Aufbau Ost und endlich gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland. Die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD haben jedoch keinen Plan und keine Ambitionen, den Auftrag des Grundgesetzes zu erfüllen. Ganze zwei Zeilen ist der Osten der künftigen Bundesregierung im Koalitionsvertrag wert. Für den neuen Ostbeauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte, gibt es im Koalitionsvertrag keine festgeschriebene Aufgabe und keine Kompetenzen.
Ohne unsere Fraktion gäbe es keine politische Stimme für Ostdeutschland im Bundestag. Die Benachteiligung des Ostens ist keine Nostalgie, sondern zeigt sich tagtäglich im realen Leben. Armut, sozialer Abstieg, Rentenungerechtigkeit gibt es selbstverständlich auch und leider wieder viel zu viel im Westen. Aber das Besondere in den neuen Ländern ist: Die strukturellen Probleme von Anklam bis Zwickau ähneln, wiederholen und verfestigen sich. Ostdeutsche besitzen, verdienen und vererben weniger. Armuts- und Arbeitslosigkeitsquoten sind besonders hoch. Bei Wirtschaftskraft oder Spitzenjobs zieht der Osten den Kürzeren.
Den Finger in die Wunde zu legen und Probleme zu benennen, wird häufig als Jammerei abgetan, weil doch der Solizuschlag seit einem Vierteljahrhundert nach Ostdeutschland geflossen sei. Und es stimmt: Auch im Westen passierte im selben Zeitraum viel zu wenig, Kommunen wurden und sind völlig unterfinanziert. Im Übrigen wissen oder wollen viele bis heute nicht wissen, dass der Solidaritätszuschlag sowohl in Ost und West gezahlt wird und dass die Bundesregierung ihn für alles Mögliche verwenden kann. Sie tat es auch, beispielsweise für die finanzielle Beteiligung am Irakkrieg zu Beginn der 1990er Jahre. Dieses Geld jedoch, eingezahlt von allen Steuerzahlern, sollte in die öffentliche Daseinsvorsorge für alle fließen, in Schulen und Kitas, in Pflege und Gesundheit, in Bus und Bahn. Noch etwas: Studien belegen, Westdeutsche entscheiden über Ostdeutsche. Menschen mit ostdeutscher Herkunft sind extrem unterrepräsentiert in allen Schlüsselpositionen von Politik, Wirtschaft, Hochschulen und Kultur.
Wir sind bereit, den Ostbeauftragten der Bundesregierung zu unterstützen, falls er nicht weiß, worum er sich kümmern soll. Seine Aufgabe ist es, Löhne und Renten im Osten an das Westniveau anzugleichen. Die Regierung aus CDU/CSU und SPD plant jedoch das Gegenteil: Sie will zukünftig die viel niedrigeren Ostlöhne nicht mehr in der Rentenberechnung hochwerten. Für heutige Arbeitnehmer im Osten würden damit die Renten um fast 10 Prozent gekürzt. Jeder dritte Ostdeutsche ist im Jahr 2030 somit von Altersarmut bedroht, wenn sich die Politik nicht ändert. Das zeigt: Eine starke politische Vertretung der Ostdeutschen wird gebraucht. Die Fraktion DIE LINKE nimmt den Auftrag Ostdeutschland ernst und an.
Matthias Höhn ist Ostbeauftragter der Fraktion DIE LINKE