Als ersten Gast begrüßt Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag und Initiatorin der Veranstaltung, den israelischen Künstler Micha Ullman zum traditionellen »Lesen gegen das Vergessen« auf dem Berliner Bebelplatz. Der 79-Jährige hat mit seiner »versunkenen Bibliothek« den vielen Autoren und Autorinnen ein Denkmal gesetzt, deren Bücher am 10. Mai 1933 von grölenden Nationalsozialisten genau an diesem Ort verbrannt worden sind. Das Mahnmal zeigt einen unter Glas befindlichen, in den Platz eingelassenen Raum, an dessen Wänden sich leere Regale befinden. Symbolisch bieten sie Platz für über 20000 verbrannte Bücher.
Leere und Stille, erzählt Micha Ullman, seien sein einziges Material gewesen. Eine leere unterirdische Bibliothek mit leeren Regalen auf einem großen leeren Platz. Es gebe Zwischenräume zwischen den Seiten, zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, zwischen den Buchstaben und auch zwischen den Menschen. Die Zuschauer, die oberhalb rund um das Glas der Bibliothek stehen, seien auch ein Teil des Denkmals. Die Räume zwischen den Dingen unten und den Menschen oben sollen Garantie für das »Nie wieder!« sein.
Über 400 Gäste, geladene und zufällig vorbeikommende, füllten den Platz und lauschten denjenigen, die ihre Stimme gegen das Vergessen erhoben. Christian Grashof, der seit 40 Jahren am Deutschen Theater spielt, Intendantin Gabriele Streichhahn und Schauspieler Carl Martin Spengler vom Theater im Palais, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und der Berliner Kultursenator Klaus Lederer, Schriftsteller Ingo Schulze, Oliver Ruhnert, Sportchef beim 1. FC Union Berlin, Buchautor Hermann Simon, Sänger und Dichter Hans-Eckardt Wenzel, der chilenische Sänger Nicolás Rodrigo Miquea und die erst 28-jährige Anika Taschke, Vorstandsmitglied im Deutschen Mauthausen Komitee Ost e. V.
Auch Beate Klarsfeld war wieder dabei. Angereist aus Paris, erzählt sie von überregionalen Anzeigen, die sie und viele ehemals deportierte und verfolgte Jüdinnen und Juden geschaltet haben. Ihr Appell: Keine Stimme für eine rechte Partei! Gebraucht wird ein Europa des Friedens und kein Europa der Angst und Gewalt.
Micha Ullman war beeindruckt von dem, was er sah und hörte. Er verabschiedete sich mit den Worten: »Am Ende gewinnen wir, die Guten.«
Tatjana Behrend