Zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE. zur Umsetzung des Urteils "Sisojeva gg. Lettland" des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ins Aufenthaltsgesetz und in die ausländerbehördliche Praxis, erklärt die migrationspolitische Sprecherin Sevim Dagdelen:
Die Praxis der Ausländerbehörden und Gerichte erkennen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht in ihrer Tragweite und Bedeutung an. In ihrer Antwort macht die Bundesregierung deutlich, dass sie hier keinen Handlungsbedarf sieht. Diese Missachtung ist ein Betrug an den fundamentalen Menschenrechten der fast 200 000 geduldeten Menschen in Deutschland. Die Botschaft des EGMR-Urteils lautet nämlich: Es gibt - unter bestimmten Bedingungen - ein Menschenrecht auf Bleiberecht, das der ausländerrechtlichen Allmacht der Nationalstaaten Grenzen setzt. Dieses Recht steht auch nicht im "humanitären Ermessen" der Behörden. Es gilt absolut!Fast täglich schieben die Ausländerbehörden Menschen ab, die seit ein oder zwei Jahrzehnten in Deutschland leben: Jugendlichen, die hier geboren sind bzw. zur Schule gehen, Familien, die sozial und gesellschaftlich völlig integriert sind etc. Eine zunehmende Zahl von Menschen empfindet diese Politik als unhaltbar. Zum Beispiel setzen sich 5000 Menschen in der 30 000-Einwohner-Stadt Neuruppin schon seit Monaten für das Bleiberecht der geduldeten Familie Kutlu ein. Für sie ist der Verweis des Staatssekretärs des Inneren, Peter Altmaier, die Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes abzuwarten, realitätsfern und menschenverachtend. Die Bundesregierung sollte nicht nur dafür sorgen, dass den Entscheidungen des EGMR in der Arbeit der Behörden und Gerichte mehr Gewicht zukommt.
Ich begrüße die gestrige Ankündigung des Bundesinnenministers Schäuble eine Bleiberechtsregelung finden zu wollen und fordere ihn auf, eine schnelle und großzügige Entscheidung zu treffen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied bereits im letzten Jahr, dass Menschen ohne Aufenthaltsrecht nicht abgeschoben werden dürfen und ihnen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden muss, wenn sie aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts und ihrer sozialen Einbindung zu faktischen Inländern geworden sind und ihnen eine Rückkehr nicht zugemutet werden kann (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention: Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) A.z.: EGMR, Sisojeva gg. Lettland (60654/00), U.v. 16. Juni 2005.
Die Kleine Anfrage und Antwort (BT-Drucksache 16/870) sind über mein Büro erhältlich (Tel.: 030 - 227 - 71353, Fax: 030 - 227 - 76852)