Zum Hauptinhalt springen

Wie man Flüchtlinge abwehrt und Integration verhindert...

Rede von Sevim Dagdelen,

Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union macht erneut deutlich: Es geht der Bundesregierung in der Migrationspolitik um die Flüchtlingsabwehr und die Auslese von Fachkräften und Hochqualifizierten für ihren „globalen Standortwettbewerb“. Die Integrationspolitik ist dagegen durch einschneidende Sanktionen im Rahmen einer sozialpolitischen „Selektionspolitik“ gekennzeichnet.

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat beginnen:
Die bisherige Entwicklung und die bisherigen Maßnahmen sind offenbar zu sehr von der Priorität arbeitsmarktpolitischer Gesichtspunkte geprägt worden, während die ebenso gewichtigen sozial- und gesellschaftspolitischen Postulate nachrangig erschienen.
Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 1979, und zwar vom ersten Ausländerbeauftragen der Bundesregierung, dem Sozialdemokraten Heinz Kühn.
Nicht den sozialen Postulaten, sondern dem Diktat der wirtschaftlichen Interessen folgten die Bundesregierungen auch in den späteren Jahrzehnten. Am 26. Mai 1993 beschloss der Bundestag die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Heute, 14 Jahre später, wird ein weiterer Angriff auf die Rechte von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten womöglich eine parlamentarische Mehrheit finden. Damals wie heute folgt die Gesetzesänderung der rassistischen Einteilung und der damit verbundenen Abwertung von Menschen nach ihrer ökonomischen Nützlichkeit.
So geht es der Bundesregierung in der Migrationspolitik um die Flüchtlingsabwehr und die Auslese von Fachkräften und Hochqualifizierten für ihren globalen Standortwettbewerb. Die Integrationspolitik ist dagegen durch einschneidende Sanktionen im Rahmen einer sozialpolitischen Selektionspolitik gekennzeichnet.
Die Bundesregierung begründet die zahllosen Verschärfungen mit der Umsetzung von elf EU-Richtlinien. Dabei sehen diese den Großteil der Verschärfungen gar nicht vor. Das Gegenteil ist der Fall. Nicht einmal zwingende Normen der EU-Richtlinien wie der subsidiäre Schutz für Kriegsflüchtlinge, die Beachtung des Kindeswohls und die Sicherstellung der Behandlung von besonders Schutzbedürftigen finden sich im Gesetzentwurf wieder. Änderungen, deren Notwendigkeit durch die dreitägige Anhörung deutlich wurde, unterbleiben in Gänze.
Gar nichts mit den EU-Richtlinien haben die Verschärfungen im Einbürgerungsrecht und bei den Integrationskursen zu tun. Die Einführung von Einbürgerungstests, die Streichung der erleichterten Einbürgerung für Jugendliche bis 23 Jahre werden vor allem eine Auswirkung haben: Menschen auch weiterhin von der demokratischen Mitbestimmung durch Wahlen auszuschließen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
„Es liegt doch klar auf der Hand: Sie wollen die ausländischen Arbeiter in Deutschland, aber sie sollen in Deutschland Sklaven sein.“, sagte der SPD-Abgeordnete Karl Liebknecht bereits 1912 bei den Beratungen des damaligen Staatsangehörigkeitsgesetzes. Angesichts der Diskussion heute muss ich sagen: Es hat sich kaum etwas verändert; nur die SPD ist nicht mehr das, was sie war.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Sebastian Edathy (SPD): Jetzt gehen Sie zu weit!)
Sie behaupten zynisch, ihr Gesetz diene der Integration und der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen. Tatsächlich aber greifen Sie in das Grundrecht auf Familienzusammenführung und -zusammenleben ein, indem der Ehegattennachzug beschränkt wird. Aufenthaltsrechtliche Maßnahmen zum Schutz Zwangsverheirateter oder Zwangsverschleppter, wie wir sie immer gefordert haben, wie sie auch von den Sachverständigen bei der Anhörung im Ausschuss und sogar vom Bundesrat gefordert wurden, werden hier nicht ergriffen. Bei in Deutschland Eingebürgerten wird der Nachzug zudem noch von der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig gemacht. Damit werden Eingebürgerte im Nachhinein rassistisch diskriminiert und ganz einfach zu Deutschen zweiter Klasse. Es geht also keineswegs um von Zwangsverheiratung bedrohte Frauen. Aber glaubwürdig war es sowieso nicht, dass Sie, vor allem in der CDU/CSU-Fraktion, sich für die Rechte von Frauen einsetzen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Deutlich wird auch, was Sie unter „präventiver Integration“ verstehen: Niemanden mehr reinlassen. Wenn niemand mehr reinkommt, muss auch niemand mehr integriert werden. Die, die hier sind, sollen mit sozial- und aufenthaltsrechtlichen Sanktionen integriert werden. In diesem Zusammenhang zaubern Sie diesen Popanz des integrationsunwilligen Ausländers herbei. Nicht einmal der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Herr Schmid, konnte Ihnen da folgen. Er hat im Innenausschuss der Aussage zugestimmt, dass die Beteiligung von Alteinwanderinnen und Alteinwanderern an den Integrationskursen ausgezeichnet ist, obwohl sie keinen Rechtsanspruch haben und keine Informationen bekommen.
Lieber führen Sie für öffentliche Stellen eine Denunziationspflicht ein, nach der vermeintliche Integrationsdefizite den jeweiligen Ausländerbehörden zu melden sind, oder verlängern die Dauer der systematischen Schlechterstellung von Asylsuchenden und von geduldeten Flüchtlingen mit ihrem ohnehin um 35 Prozent gekürzten Existenzminimum von drei auf vier Jahre.
Die SPD hat der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1992 unter dem Vorwand einer Bürgerkriegsregelung zugestimmt. Diese Regelung wurde in der zwölfjährigen Zeit ihres Bestehens genau einmal angewandt: Das war 1999 bei der zeitweiligen Aufnahme von Kosovoflüchtlingen.
Heute stimmen Sie diesem Gesetzespaket mit inakzeptablen, grundrechtswidrigen und unbegründeten Verschärfungen zu als Preis für eine sogenannte Altfallregelung, die überhaupt gar keine ist. Während die CDU/CSU nur das macht, was sie ständig propagiert, zeigt die SPD wieder einmal ihren Januskopf: Integration predigen, aber Integrationsbedingungen verschlechtern.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Abschließend möchte ich aus einem Artikel von Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 5. April 2007 zitieren:
Es gibt zehn Regeln, an die man sich halten muss, um den Ausländern in Deutschland den Weg zur Integration erfolgreich zu verbauen.
Da kann ich nur sagen: Bravo! Die Bundesregierung hat es geschafft, sich an alle zehn Regeln zu halten.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))