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Foto: Rico Prauss

Was für ein Rechtsstaatsverständnis hat diese Bundesregierung?

Rede von Dietmar Bartsch,

Rede in der Aktuellen Stunde zum Umgang der Bundesregierung und des Bundestages mit den Vorwürfen gegen Sebastian Edathy.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde lautet: Umgang in der Bundesregierung und im Deutschen Bundestag mit den Vorwürfen gegen Sebastian Edathy. - Auch der Kollege Mayer hat eben ausgeführt, dass es darum geht. Wir sind da gänzlich anderer Auffassung.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ach was!)

Hier geht es nicht zuallererst um einen Fall Edathy. Es geht hier um eine Krise der Bundesregierung.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! - Volker Kauder (CDU/CSU), an die SPD gewandt: So was schweißt uns zusammen!)

Es geht darum, wie die Bundesregierung mit dem Rechtsstaat umgeht; das ist hier die Frage. Da ist im Übrigen eine Aktuelle Stunde - um das gleich vorweg zu sagen - wirklich unangemessen. Wir haben überlegt - die Kollegen von den Grünen sicherlich auch -, ob sie der richtige Umgang damit ist. Das ist sie mit Sicherheit nicht. Denn in der Aktuellen Stunde kommt es nicht zur Aufklärung; es werden nur nacheinander Reden gehalten. Das ist nach unserer Auffassung der falsche Weg. Das wirkt wie eine Alibiveranstaltung, und so etwas brauchen wir angesichts der Dimensionen wirklich nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist und es bleibt Fakt: Es gibt extrem viel aufzuklären. Aber wie ist das mit dem Willen zur Aufklärung? Herr Oppermann ist hier ‑ nichts gegen die Kollegen Lischka und Rix ‑, redet aber nicht. Der Abgeordnete Friedrich könnte hier zum Thema Stellung nehmen, aber auch das ist nicht der Fall. Alles wird eher herunter gekocht.

Wir als Parlament, aber vor allen Dingen die Öffentlichkeit, haben ein Recht darauf, präzise zu erfahren, wie die Abläufe waren. Sie müssen die Fakten auf den Tisch legen! Sie müssen Nachfragen zulassen. Eine Aktuelle Stunde erweckt den Eindruck, dass Sie etwas vertuschen wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das ist absurd! ‑ Christine Lambrecht (SPD): Deshalb gehen wir in den Innenausschuss!)

Es gibt den Verdacht, dass der Betroffene vorher etwas erfahren hat. Wir müssen doch irgendwie herausfinden, auf welchem Weg das geschehen ist. Das muss doch aufgeklärt werden, oder nicht? ‑ Natürlich muss es das. Ein ehemaliger Innenminister aus Niedersachsen sagt, Herr Edathy habe von mehreren Quellen von den Vorgängen erfahren. Auch hier müssen wir aufklären, warum das so war. Wieso konnte er Festplatten vernichten? Wieso konnte er offensichtlich seinen Laptop verschwinden lassen?

Die Kernfrage ist allerdings: Welches Rechtsstaatsverständnis hat die Bundesregierung?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Damit komme ich auf den von Ihnen hochgelobten Herrn Friedrich zu sprechen. Beim besten Willen: Wie kann es sein, dass Herr Friedrich, der einmal „Verfassungsminister“ war, Herrn Gabriel über die Vorgänge informiert? Das ist rechtswidrig, meine Damen und Herren.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ich wäre vorsichtig mit solchen Sprüchen!)

Nebenbei gefragt: Herrn Seehofer und Frau Merkel hat er nicht informiert? Das werden wir vielleicht noch herausbekommen. Aber inakzeptabel ist, dass er diesen Weg gewählt hat.

Es ist auch sehr überraschend, wie schnell das in der SPD herumging. Herr Gabriel informiert Herrn Steinmeier und Herrn Oppermann, und Herr Oppermann informiert dann Frau Lambrecht. Das soll alles in Ordnung sein? Nein, meine Damen und Herren, das alles ist rechtswidrig.

Herr Friedrich wurde auf dem CSU-Parteitag ebenso wie hier gefeiert. Aber auch für denjenigen, der die absolute Mehrheit hat, gilt, sich an Recht und Gesetz zu halten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU))

Unser Land würde sich andernfalls zu einer Gurkenrepublik entwickeln.

Zu dem berühmten Telefonat zwischen Herrn Oppermann und Herrn Ziercke. Hier gibt es sehr unterschiedliche Varianten. Erst haben wir gehört, dass Herr Oppermann telefoniert und eine Bestätigung erhalten hat. Herr Ziercke hat heute im Innenausschuss offensichtlich etwas anderes gesagt. Das ist schon sehr bemerkenswert. Nun gilt es, sehr genau herauszufinden, wer was gesagt hat.

Was soll der normale Bürger denken? Denkt er, dass er seinen Polizeichef anrufen kann: Ich habe da eine Frage, die meinen Nachbarn betrifft, könnten Sie mir Auskunft geben?

(Volker Kauder (CDU/CSU): Da sagt der auch nix!)

Wollen wir uns in diese Richtung entwickeln? Das kann ja wohl nicht wahr sein!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Anrufen kann er!)

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Wir stehen vor folgendem Problem, auch Sie, Herr Bundestagspräsident: Wer bearbeitet hier im Hause die Post? Das ist offensichtlich kein Problem der Poststelle. Zu lesen war, dass der Brief der Staatsanwaltschaft Hannover offensichtlich abgegriffen wurde. Er hatte beispielsweise zwei Stempel. Was ist das für ein Staat, in dem Briefe von Staatsanwälten an den Bundestagspräsidenten geöffnet werden? Wo leben wir denn, wenn das eventuell sogar Normalität ist? Das kann doch nicht wahr sein!

Zu den viele Spekulationen. Herr Mayer sagt, Vertrauen entstehe durch Taten. Das impliziert offensichtlich das, was einige in der Öffentlichkeit sagen: Die Sozialdemokratie muss jetzt einen Preis zahlen. Wie soll denn das in der Praxis aussehen? Das hat mit Rechtsstaat überhaupt nichts zu tun. Das ist Teil eines Vertuschungsszenarios!

(Beifall bei der LINKEN)

Für uns gilt ‑ und ich hoffe in diesem Fall gemeinsam für Die Linke und die Grünen, ich bin da sehr zuversichtlich ‑: Wir werden an diesem Thema dranbleiben. Aufklärung, Aufklärung und nochmals Aufklärung darf man nicht nur postulieren. Wir werden alle Mittel nutzen, damit uns dies auch gelingt.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wir haben die Aktuelle Stunde beantragt und nicht Sie!)

Dazu zählt nicht in erster Linie die Aktuelle Stunde, sondern der Innenausschuss; eventuell müssen weitere Mittel zum Einsatz kommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)