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Versorgung für Opiat-Abhängige absichern - Rechtssicherheit für Substitutionsärzte herstellen

Rede von Frank Tempel,

- Rede zu Protokoll -

Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die gegenwärtige Substitutionslage in Deutschland ist nicht zufriedenstellend. Dabei ist die Substitutionstherapie, also die Versorgung von Opiat-Abhängigen mit einem Ersatzstoff, nachweislich die wirksamste Methode, den Betroffenen eine Rückkehr ins gesellschaftliche Leben zu ermöglichen und wenn möglich von ihrer Suchterkrankung zu heilen. Sie wirkt der drogenassoziierten Kriminalität entgegen und eine gesundheitsökonomische Studie hat ergeben, dass die volkswirtschaftlichen Einsparungen pro Patient im Jahr bei 7.800 € liegen.

Die Infrastruktur zur Substitutionstherapie muss weiter ausgebaut werden. Wie im Antrag der SPD richtig benannt wurde, ist besonders die Versorgung von Substituierenden im ländlichen Raum äußerst prekär. Die Anzahl der Substituierenden liegt in Deutschland bei 76.200 Personen – Stand 2011. Dem gegenüber standen im selben Jahr 2703 substituierende Ärztinnen und Ärzte sowie 8122 Ärztinnen und Ärzte mit suchttherapeutischer Qualifikation.

So wird es den Patientinnen und Patienten und den Ärztinnen und Ärzten sehr schwer gemacht, die Substitutionsbehandlung erfolgreich durchzuführen. Zudem werden immer wieder Fälle bekannt, bei denen sich Substitutionsärzte vor Gericht für die mehrtätige Mitgabe des Substitutionsmittels (bspw. Methadon) an ihre Patientinnen und Patienten verantworten müssen. Beim Landgericht Lüneburg wurden bereits zwei Ärzte zu Haftstrafen verurteilt. Und auch in Niedersachsen gab es 2008 mehrere Verfahren gegen Substitutionsärzte. Grund dafür ist der strenge Rechtsrahmen der Substitutionsbehandlung, dessen Grundzüge aus den 80er und 90er Jahren stammen. Die Take-Home-Regelung von sieben Tagen sollte daher ausgeweitet werden.

Ein weiteres Problem ist die sogenannte Einnahme „Unter Sicht“. Sie sorgt dafür, dass Patientinnen und Patienten gezwungen werden, teilweise in der Öffentlichkeit (bspw. in der Apotheke) das Substitutionsmittel einzunehmen. Diese Praxis hat für Patientinnen und Patienten oftmals einen demütigenden Charakter. Die Einnahme des Substitutionsmittels „Unter Sicht“ sollte daher nicht die Regel, sondern die Ausnahme darstellen.

Auch die sachlichen und personellen Mindestvoraussetzungen für Substitutions-Einrichtungen sind zu hoch angesetzt. Die Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) von 2010 müssen daher ihren Niederschlag in der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtmVV) finden. Desweiteren muss endlich Rechtssicherheit für Substitutionsärzte bei der Auslegung der Rechtsvorschriften zur Substitution hergestellt werden. Erfreulich ist, dass am 17. Januar diesen Jahres der Gemeinsame Bundesausschuss verschiedene Änderungen bei den Diamorphin-Richtlinien beschlossen hat. „Einrichtungen können über die Anzahl der notwendigen Arztstellen bedarfsorientierte entscheiden und Räumlichkeiten realitätsnah gestalten“, schrieb der Gemeinsame Bundesausschuss in der Presseerklärung vom selben Tag.

Ebenso sollten die Vorschläge des 115. Deutschen Ärztetages zur Substitutionsbehandlung einbezogen werden. Diese fordern unter anderem, dass der Gesetzgeber die betäubungsmittelrechtlichen Vorgaben an den Stand der medizinischen Wissenschaft anpasst. In den EU-Ländern, in denen ebenso die Substitutionsbehandlung ermöglich wurde, ist diese pragmatischer geregelt worden und hatte nicht zu einer unkontrollierten Behandlungsszenerie geführt.

Außerdem muss der rechtliche Rahmen dafür geschaffen werden, dass es nicht den Bundesländern obliegt, eine bestehende Substitution bei einem Haftantritt zu beenden. In einem offenen Brief der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) an die bayrische Justizministerin vom April 2012 wurde sehr deutlich formuliert, dass Bayern gegen die Richtlinien der Bundesärztekammer sowie gegen das Bayerische Strafvollzugsgesetz, nach dem Gefangene die gleiche Gesundheitsversorgung erhalten müssen wie in Freiheit, verstößt. Hintergrund des offenen Briefes waren zwei aktuelle Beschlüsse des Landgerichts Augsburg, mit denen zwei Anträge auf Substitutionsbehandlung in der JVA Kaisheim abgelehnt wurden. Wie die DAH betonte, wiesen die Beschlüsse zahlreiche fachliche Fehler auf. Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) erklärt zu den beiden Urteilen: „Die Urteilsbegründung entspricht nicht dem Stand des medizinischen Wissen und verletzt das Recht das Patienten auf eine angemessene Behandlung.“ Der erzwungene Abbruch einer Substitution bei Haftantritt erhöht die „Gesundheits- und Lebensgefahren des Patienten erheblich“, so die DGS.


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

erforderlich sind rechtliche Rahmenbedingungen, die Substitutionsärzte nicht abschrecken, Opiatabhängigen eine flächendeckende Versorgung mit freier Arztwahl ermöglichen, einer normalen Lebensführung nicht von Vorneherein im Wege stehen sowie den fließenden Übergang der Substitution auch in der Haft ermöglichen.

Wir unterstützen daher das Anliegen der SPD-Fraktion, die Versorgungsqualität bei der Substitutionsbehandlung zu verbesser und hoffen, dass es spätestens zu Beginn der neuen Legislaturperiode zu grundlegenden Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Substitutionspraxis kommt. Nur dadurch können wir die Anzahl der praktizierenden Substitutionsärzte erhöhen und den Abhängigen ausreichend helfen.


Vielen Dank!