Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Butscha ist etwa so groß wie meine Heimstadt Emsdetten. Vor dem 27. Februar 2022 lebten dort etwa 35 000 Menschen. Dann wurde Butscha von russischen Truppen eingenommen und 32 Tage gehalten, 32 Tage, in denen Grauenhaftes geschah. 458 Leichen fand man danach, darunter 86 Frauen und 9 Kinder, Leichen mit Folterspuren. Manchen hatte man die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und in den Hinterkopf geschossen. Man fand auch von der russischen Armee verschossene Antipersonengeschosse, die beim Aufprall Tausende feine Metallsplitter auf großer Fläche verteilen. Wenn diese auf menschliche Körper treffen, verformen sie sich und verursachen schreckliche Wunden. Der Einsatz solcher Waffen auf dichtbesiedeltem Gebiet verstößt eindeutig gegen das Völkerrecht und muss geahndet werden.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Aber Butscha ist nur ein kleiner Teil des großen Verbrechens. Raketenangriffe auf Wohngebiete und die Stromversorgung, verminte Äcker und Fabriken – all das ist der tägliche Terror des Krieges. Für all dieses Leid, meine Damen und Herren, ist Russland, ist Wladimir Putin verantwortlich. Der gesamte Angriffskrieg ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht, nicht nur jedes einzelne Kriegsverbrechen; das dürfen wir nicht vergessen.
(Beifall bei der LINKEN, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Überlebenden brauchen Gerechtigkeit, um wieder ins Leben zu kommen. Versöhnung kann es nur geben, wenn die Verbrechen aufgeklärt, angeklagt und gesühnt werden. Für solche Verbrechen gibt es ein Gericht, nämlich den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Ihn politisch, finanziell und personell zu stärken, ist jetzt die richtige Antwort.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Aber die drei mächtigsten Staaten der Welt, die USA, China und auch Russland, akzeptieren den Internationalen Gerichtshof nicht. Sie wollen sich für ihre Verbrechen nicht vor der Welt verantworten. Auch deswegen sind frühere Kriegsverbrechen wie die von US-Soldaten im Folterlager von Abu Ghuraib im Irak oder an den vielen zivilen Opfer des NATO-Kriegs in Afghanistan noch immer ungesühnt.
Doch ein EU-Sondertribunal für die Ukraine, wie es Frau Baerbock fordert, ist dafür kein Ausweg. In der Anhörung des Auswärtigen Ausschusses am 6. Februar äußerten Völkerrechtler die Sorge, dass ein EU-Tribunal den Internationalen Strafgerichtshof noch weiter schwächt. Eine Alternative wäre es, den Gerichtshof auch für Staaten zuständig zu machen, die nicht Mitglied sind. Sicher ist das schwieriger. Aber wer bitte behauptet, dass Gerechtigkeit keiner Mühe wert ist?
(Beifall bei der LINKEN)
Mindestens ebenso schwer, aber vielleicht noch wichtiger ist es, diesen mörderischen Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Aber dafür braucht es politischen Willen, und den kann ich bei der Bundesregierung leider nicht erkennen.
(Boris Mijatović [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte?)
Viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen keine andere Antwort auf diese Verbrechen, als immer mehr und immer stärkere Waffen zu liefern. Aber auch Sie müssen sich doch fragen, wie lange dieser Krieg noch dauern soll. Natürlich kann man hier auf unseren schönen weichen blauen Sesseln gut sitzen und sagen: Russland muss diesen Krieg verlieren, koste es, was es wolle.
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Hat keiner gesagt! Hören Sie mal richtig zu!)
Aber wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, dann wissen Sie, dass dafür noch verdammt viel Blut und Tränen den Dnipro hinunterfließen werden.
(Zurufe der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP])
Auch UN-Generalsekretär Guterres hat kürzlich davor gewarnt, dass sich der Krieg ausweiten könnte. Was, bitte, macht Sie so sicher, dass er unrecht hat?
Mir und meiner Partei wird immer wieder unterstellt, dass wir Waffenlieferungen ablehnen, weil uns die Ukraine und ihre Menschen egal wären. Es gibt aber nichts, was falscher wäre. Ich habe im letzten März einen jungen Mann aus der Ukraine in meiner Wohnung aufgenommen, und das ist mir alles andere als egal. Was haben wir die Nächte hindurch geredet! Wir haben zusammen die Bilder gesehen, aus Butscha, aus Irpin, aus Mariupol. Wir haben gemeinsam gezittert um seine Familie und seine Freunde, bis sie endlich in Sicherheit waren, auch um seine russischen Freunde, als Putin die Mobilmachung erklärte.
Meine Damen und Herren, jeder Krieg ist ein Verbrechen, gerade an den einfachen Menschen. Deshalb sage ich, was viele Menschen hier denken: Wir brauchen mehr Anstrengungen, um diesen Krieg zu beenden, nicht um ihn zu verlängern.
(Beifall des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Wir brauchen mehr Diplomatie und mehr Mut, auf zivile Lösungen zu setzen. Apropos Mut: Die mutigen Menschen, die sich weigern, in diesen verbrecherischen Krieg zu ziehen, brauchen Verbündete und keine faulen Ausreden, wie sie Frau Baerbock immer vorträgt. Deshalb wünsche ich mir zu Ostern viele Tausend Menschen bei den Ostermärschen im ganzen Land, die für diese Friedensfrage einstehen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])