Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Tarifverträge sorgen für gute Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. So verdienen Beschäftigte mit Tarifvertrag bereinigt rund 11 Prozent mehr als Beschäftigte ohne den Schutz eines Tarifvertrags, und sie arbeiten auch in der Regel in der Woche eine Stunde weniger. Das ist gut so.
Doch es waren vor 25 Jahren noch mehr als 70 Prozent, die unter den Schutz eines Tarifvertrags fielen, und heute ist es gerade einmal jeder Zweite; im Osten sieht es übrigens noch schlechter aus. Das ist eine beschämende Bilanz für alle, die in den letzten 25 Jahren in diesem Land in unterschiedlichen Konstellationen die Regierung gestellt haben. Hier würde ich mir durchaus in der Debatte heute ein wenig Selbstkritik von Ihnen wünschen.
(Beifall bei der LINKEN)
Denn wer jahrelang die Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften mutwillig schwächt, wer sachgrundlose Befristung erlaubt, die Ausweitung von Leiharbeit befördert, der darf sich auch über eine Erosion des Tarifvertragssystems nicht wundern. Wir sehen, dass es leider immer mehr Unternehmen gibt, die sich ihrer sozialen Verantwortung entziehen, die mit Lohndumping versuchen, sich schmutzige Wettbewerbsvorteile zu besorgen, und damit auch diejenigen, die noch tarifgebunden sind, unter Druck setzen. Das können wir doch alle nicht wollen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deshalb sage ich auch: Wer immer wieder auf das hohe Gut der Tarifautonomie pocht, der muss aufhören, dieses System durch Tarifflucht zu sabotieren. Und hier ist auch der Staat in der Pflicht, die Rahmenbedingungen für eine Stärkung des Tarifsystems neu zu justieren.
Ja, 80 Prozent tarifvertragliche Abdeckung ist die neue Vorgabe, die die Europäische Union auch mit Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland den Mitgliedstaaten macht. Davon sind wir noch weit entfernt, und ich sehe, ehrlich gesagt, beim besten Willen nicht, wie die Bundesregierung dieses Ziel von 80 Prozent erreichen will.
(Christian Görke [DIE LINKE]: Ich auch nicht!)
Klappen wird das nicht mit Stückwerk, sondern nur mit einem umfassenden Aktionspaket, mit einem Aktionsplan, so wie wir ihn heute vorschlagen, und darauf will ich jetzt noch näher eingehen.
Erstens. Wir brauchen endlich ein Bundestariftreuegesetz.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer von öffentlichen Aufträgen des Bundes profitieren will, muss nach Tarif bezahlen. Punkt! Und es ist gut, wenn das Arbeitsministerium hier so langsam in die Puschen kommt; aber ich hoffe sehr, dass nicht auch das nachher an den Koalitionswirren und am Veto der FDP scheitert, meine Damen und Herren.
Kein Lohndumping mit öffentlichem Geld! Das muss aber auch dort gelten, wo Unternehmen eine öffentliche Förderung bekommen. Aktuelles Negativbeispiel: der Windkraftanlagenhersteller Vestas. Seit Monaten kämpfen da die Beschäftigten für einen Tarifvertrag, und das sind nicht die Einzigen in der Branche. Doch auch im jüngsten Strategiepapier von Wirtschaftsminister Habeck zur Zukunft der Windkraft fand sich kein einziges Wort zu den Arbeitsbedingungen in der Branche, geschweige denn zur Tarifbindung.
(Christian Görke [DIE LINKE]: Warum auch?)
Gute Arbeit muss endlich zu einem Kernelement der Wirtschaftsförderung werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das gilt auch und ganz besonders für die Energiewende; anderenfalls droht nämlich auch hier die Akzeptanz zu schwinden, meine Damen und Herren, und das wäre fatal.
Zweitens. Wir müssen uns auch das Agieren der Arbeitgeberverbände genauer anschauen. Es kann doch nicht sein, dass sich Arbeitgeberverbände qua Satzung erlauben, auch Unternehmen aufzunehmen, die sich keiner Tarifbindung unterwerfen, ansonsten aber alle Privilegien der entsprechenden Mitgliedschaft genießen. Diese Trittbrettfahrerei gehört beendet, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben ein Gutachten des renommierten Arbeitsrechtlers Professor Däubler vorliegen. Er sagt: Das geht rechtlich; aber es braucht den politischen Willen, sich mit diesen Verbänden dann auch mal anzulegen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Und drittens. Eine umfassende Stärkung der Tarifbindung geht nicht ohne eine Stärkung des Instruments der Allgemeinverbindlichkeitserklärung; denn seit der letzten Reform ist die Anzahl der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge nicht gestiegen – entgegen dem erklärten Ziel. Im Gegenteil: Waren es im Jahr 2000 noch über 100 Tarifverträge, die allgemeinverbindlich waren, sind es laut den letzten Zahlen nur noch 34 Tarifverträge, die aktuell allgemeinverbindlich sind. Das ist doch völlig inakzeptabel, meine Damen und Herren,
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Annika Klose [SPD] und Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
und das einzig, weil die Arbeitgeberseite hier alles blockiert, was auf den Tisch kommt. Das geht nicht. Wir brauchen eine Erleichterung des entsprechenden Verfahrens, damit Tarifverträge auch da wieder für eine ganze Branche gelten, wo es notwendig ist, um Schmutzkonkurrenz zu beenden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und zuletzt: Auch bei denjenigen, die aus dem Ausland nach Deutschland entsandt werden, muss nachgebessert werden. Die letzte Große Koalition hat die regionalen Tarifverträge –
– an dieser Stelle nicht auf entsandte Beschäftigte erstreckt. Das muss sich ändern, meine Damen und Herren.
Ich sage es Ihnen: Gehen Sie es komplett an! Machen Sie einen Aktionsplan, kein Stückwerk! Wir haben Vorschläge vorgelegt.
Ich komme zum Schluss. – In diesem Sinne: Folgen Sie unseren Vorschlägen, damit wir endlich wieder flächendeckend anständige Arbeitsbedingungen in diesem Land bekommen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)