Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte auf zwei Punkte in der Debatte der letzten Tage und auch heute Morgen im Innenausschuss eingehen, die ich für folgenschwere Fehlannahmen halte.
Die erste irrige Annahme ist, dass wir es hier mit einer ideologisch diffusen Szene zu tun hätten; manche reden gar von einem „Salatbar-Extremismus“. In der Tat: Der Geheimdienst behauptet, nur etwa 5 Prozent der sogenannten Reichsbürger seien rechtsextrem; der Rest sei irgendwie nicht zuzuordnen, oder es handele sich um – deren Wortschöpfung – Vertreter „verfassungsschutzrelevanter Delegitimierung des Staates“.
Aber ist es wirklich so schwer zu verstehen, wer diese Leute sind, was sie wollen und warum sie gefährlich sind? Diese Leute verbreiten mitunter auch als Abgeordnete der AfD Rassismus gegen Geflüchtete. Sie verbreiten antisemitische Verschwörungstheorien über finstere Mächte, die die Welt aus dem Geheimen heraus lenken würden.
(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])
Sie planen Säuberungen und Entführungen politischer Gegner/-innen. Sie halten den Staat für schwach, weil er nicht hart genug durchgreift, und sie wollen eine autoritäre Diktatur.
(Zuruf der Abg. Nicole Höchst [AfD])
Nennen wir die Dinge doch einfach mal beim Namen. Wir haben es mit bewaffneten Rechten zu tun, die eine Gefahr für viele Menschen und für die Demokratie sind.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch der Umstand, dass hier ganz unterschiedliche, zum Teil krude ideologische Aspekte zusammenkommen, widerspricht nicht dieser klaren Einordnung. Faschistische Ideologie zeichnete schon immer aus, dass sie in der Lage war, disparate, irrationale oder gar esoterische Elemente einzubinden. Wenn wir dieses Phänomen, dieses Problem aber nicht begreifen, dann werden wir es auch nicht richtig bekämpfen können. Ich glaube, wenn wir schon früher klar gesprochen hätten über die rechte Reichsbürgerszene, dann hätten wir auch konsequenter entwaffnet. Das ist meine feste Überzeugung.
(Beifall bei der LINKEN)
Die zweite, nicht weniger folgenschwere Fehlannahme liegt der großen Verwunderung zugrunde, von der ich jetzt die letzten Tage immer wieder lesen und hören musste, die die Zusammensetzung dieses Netzwerks hervorruft: eine Richterin, Polizisten, Soldaten und Ärzte. Es sei erschütternd und vor allem neu, dass bürgerliche Kreise, ja, die Mitte der Gesellschaft Teil von rechten Verschwörungen seien. – Dieses Erstaunen ist gefährlich. Aus ihm spricht das Unvermögen, sich Rechte anders als extremistische Proleten vorzustellen. Es zeugt vom Wunsch, Rassismus und Antisemitismus nur dort zu verorten, wo es möglichst wenig mit einem selbst zu tun hat.
Und: Es offenbart ein gefährliches Unwissen über die Geschichte der extremen Rechten. Erinnern wir uns an das rechte Nordkreuz-Netzwerk. Es waren Soldaten, Polizisten und Anwälte, die Waffen horteten und Gegner/-innen ermorden wollten. Und wer förderte eigentlich die Wehrsportgruppe Hoffmann, deren Mitglieder Shlomo Lewin und Frida Poeschke töteten
(Mike Moncsek [AfD]: War das vor der RAF oder danach?)
und aus deren Umfeld das Oktoberfestattentat verübt wurde?
(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])
Das waren ein Verleger und Immobilienbesitzer, ein Adliger und ein Rüstungsfabrikant – um nur einige zu nennen.
Wir können auch noch gerne weiter zurückgehen in der deutschen Geschichte und werden immer wieder sehen: Die extreme Rechte war nie ein Phänomen der gesellschaftlichen Ränder. Es waren immer die bürgerlichen Kreise, die Stützen der Gesellschaft, von denen die rechte Gefahr für die Demokratie ausging. Die nicht abreißende Serie rechter Netzwerke, die sich mindestens seit 2015 auf den Weg machen, einen rechten Putsch vorzubereiten, zeigt: Diese Gefahr ist brandaktuell.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)