Der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ) ist inzwischen gar nicht mehr so neu. Ein in den 70er-Jahren entwickeltes Verfahren zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes kann das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen nicht mehr angemessen abbilden. Die Autos sind heute viel schwerer und leistungsstärker als vor 40 Jahren. Und so hat sich die Schere zwischen Laborwerten – gemessen nach NEFZ – und realem Kraftstoffverbrauch und Ausstoß von Kohlendioxid in den letzten Jahren immer weiter geöffnet. Autos verbrauchen inzwischen fast die Hälfte mehr, als in den Hochglanzprospekten angegeben. Das ist nichts anderes als eine systematische Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher, und es ist überfällig, dass der Uraltzyklus NEFZ aus dem Verkehr gezogen wird.
Mit dem neuen Prüfverfahren Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure (WLTP) und dem dazugehörigen neuen Prüfzyklus kommt man der Wahrheit zumindest ein bisschen näher. In diesem Zyklus werden höhere Geschwindigkeiten gefahren, und die Standzeiten werden reduziert. Reduziert werden damit auch die Möglichkeiten für die Hersteller, durch kleine Tricks große Emissionskosmetik zu betreiben. Das ist ein Fortschritt und sollte sofort angewendet werden.
Von daher wundere ich mich sehr, dass die Einführung des WLTP faktisch um ein Jahr verschoben wird. Bereits in diesem Jahr könnte für neue Fahrzeugtypen dieses strengere Prozedere Anwendung finden. Opel hat für seinen neuen Astra das WLTP-Verfahren schon für Juni 2016 angekündigt. Aber die Bundesregierung nimmt lieber eine Kernforderung der Autoindustrie auf und verschiebt den Stichtag auf September 2018. Das ist völlig kontraproduktiv, und die Linke kann dem vorgelegten Gesetzentwurf daher nicht zustimmen.
Dieses Detail im vorgelegten Gesetzentwurf sagt zudem viel darüber aus, wie ernst es der Bundesregierung mit der Einführung realistischer Tests wirklich ist. Gleiches gilt auch für die jahrelangen Bemühungen der Bundesregierung, in den internationalen Verhandlungsrunden den WLTP zu verwässern. Es sind Unterlagen bekannt geworden, in denen sich die Bundesregierung für einen pauschalen Abschlag von 4 Prozent auf WLTP-Messergebnisse einsetzte. Durch Anpassungen der Rahmenbedingungen des Fahrzyklus sollten die Werte um weitere 10 Prozent schlechter ausfallen dürfen. Mit ihren Bemühungen war die Bundesregierung leider so erfolgreich, dass die USA und Japan aus dem WLTP-Prozess ausgestiegen sind, weil dessen Vorgaben ihnen schlicht zu lasch sind.
Es ist also keineswegs so, dass wir uns jetzt entspannt zurücklehnen können, weil mit dem WLTP alle Probleme gelöst wurden. Am Ende kommt es nämlich darauf an, dass die Zielwerte für klimaschädliche Abgase in der täglichen Fahrpraxis eingehalten werden und nicht auf dem Prüfstand. Um Verbrauchern realistische Werte angeben zu können und vor allem endlich einen wirksamen Anreiz zur Reduktion des CO 2 -Ausstoßes zu schaffen, müssen Verbrauchs- und CO 2 -Werte auf der Straße ermittelt werden. Denn wir wissen alle, dass Testzyklen durch die Motorsoftware erkannt werden können; das heißt, Betrügereien können im Labor nie ausgeschlossen werden. Mit dem Real-Driving-Emissions-Verfahren (RDE), das für die Messung von Stickoxiden und Rußpartikeln bald zum Standard wird, haben wir bereits eine gute Vorlage, an dem sich eine realistischere Messmethode des Kraftstoffverbrauches orientieren kann. Dies ist sicherlich Zukunftsmusik, aber wenn wir heute nicht mit der Entwicklung einer Verbrauchsprüfung im Realbetrieb beginnen, wird in den nächsten zehn Jahren auch nichts Anwendbares auf dem Tisch liegen.
Wer dem Klima einen Gefallen tun will, muss aufhören, der Autoindustrie stets und ständig Gefallen zu tun. Diese Forderung richtet sich vor allem an den Verkehrsminister, der in den letzten Monaten die Hersteller nur mit Samthandschuhen angefasst hat, obwohl die harte Hand nötig gewesen wäre. Wenn es Ihnen, meine Damen und Herren von CDU/CSU und SPD, mit den eigenen Klimazielen wirklich ernst ist, dann werden Sie sofort aktiv und sorgen dafür, dass die wohlklingenden, aber völlig aberwitzigen „Supercredits“, durch die die Autokonzerne mit ein paar Elektroautos den CO 2 -Ausstoß ihrer Fahrzeugflotte schönrechnen können, nicht mehr angewendet werden.
Sorgen Sie für Tempolimits auf Autobahnen, für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, und fahren Sie klimaschädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg und die Steuerbegünstigung für Diesel sofort zurück. Das nützt dem Klima mehr als der beste Prüfzyklus. Politische Stellschrauben zum Klimaschutz im Straßenverkehr gibt es wirklich genügend; man muss nur gewillt sein, daran zu drehen.