Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin! Liebe Ampelkoalition! Als ich das Kapitel zu Flucht und Migration in Ihrem Koalitionsvertrag gelesen habe, war ich erst mal positiv überrascht. Nach einem Jahr muss ich aber feststellen: Von dem groß angekündigten Neustart in der Migrationspolitik, so wie Sie es auch gesagt haben, Frau Ministerin, kann keine Rede sein.
Diese Kritik kommt nicht nur von mir; auch viele zivilgesellschaftliche Organisationen sind enttäuscht. Der viel zu unambitionierte Gesetzentwurf für ein Chancen-Aufenthaltsrecht zeigt deutlich, wo die Probleme liegen. Laut Koalitionsvertrag wollen Sie eigentlich Menschen aus der Kettenduldung rausholen. Mit dem jetzigen Vorschlag bekommen aber, wie die Bundesregierung selber schätzt, nur etwa 34 000 Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht. Das sind nicht besonders viele gegenüber den mehr als 240 000 Personen, die nur eine Duldung haben und die eigentlich einen Aufenthaltstitel bräuchten.
(Beifall bei der LINKEN)
Sollen diese Menschen etwa keine Chance erhalten?
Die Anforderungen für das Chancen-Aufenthaltsrecht sind außerdem viel zu hoch. Zum Beispiel wird erwartet, dass Betroffene nach einem Jahr ihren Lebensunterhalt sichern, und das, nachdem sie über Jahre hinweg systematisch ausgegrenzt und vom Arbeitsmarkt ferngehalten wurden. Hier bräuchte es Verlängerungsmöglichkeiten. Das Gleiche gilt auch beim Spracherwerb.
(Beifall bei der LINKEN)
Enttäuschend ist außerdem, dass Sie den Gesetzentwurf nicht nutzen, um die Identitätsklärung per eidesstattlicher Versicherung einzuführen. Das verstehe ich wirklich nicht, weil es in Ihrem Koalitionsvertrag so drinsteht. Wenn Sie es wirklich ernst meinen würden, müsste das Gesetz stichtagsunabhängig gelten. Nur so würde wirklich allen langjährig geduldeten Menschen der Übergang in ein dauerhaftes Bleiberecht eröffnet.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie sich von Friedrich Merz und Co treiben lassen. Kurz nachdem er von „Sozialtourismus“ gesprochen hatte, legte Innenministerin Faeser nach und sprach sich für eine weitere Abschottung der Grenzen aus. Illegale Migration müsse gestoppt werden. So sieht doch kein Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik aus!
(Beifall bei der LINKEN)
Die Worte der Innenministerin klingen für mich eher wie eine Fortsetzung der Politik von Seehofer. Dabei ist vieles, was im Koalitionsvertrag steht, richtig, zum Beispiel die Erleichterungen beim Familiennachzug. Aber Sie müssen sie auch endlich umsetzen.
Zig Verschärfungen – ich glaube, es waren 15 –, die in den letzten Jahren durchgezogen wurden, sind nach wie vor in Kraft. Das darf so nicht bleiben.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb fordern wir auch in unserem Antrag, dass in einem ersten Schritt die seit 2015 vorgenommenen Verschärfungen im Abschiebungsverfahren zurückgenommen werden müssen. Das betrifft insbesondere Überraschungsabschiebungen ohne Vorankündigung und den Umgang mit psychisch und physisch kranken Menschen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)