Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte, ich höre nicht richtig. Vergangene Woche wurde ein neuer Rekord vermeldet: 2,5 Millionen junge Menschen, also jeder Sechste im Alter zwischen 20 und 35 Jahren, haben keinen Berufsabschluss. Immer weniger Schulabgänger von der Hauptschule kommen überhaupt in eine betriebliche Ausbildung. Insgesamt 630 000 junge Erwachsene sind weder in der Schule noch in Ausbildung noch in Arbeit.
Und noch ein trauriger Rekord: Die sogenannte stille Reserve liegt bei mittlerweile 2 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter, 2 Millionen, über die Hälfte davon mit Berufsabschluss, die weder Arbeit haben noch arbeitslos gemeldet sind, aber gerne Arbeit hätten. Wie haben Sie eigentlich vor, diese Menschen zu erreichen?
(Beifall bei der LINKEN)
Kein Wunder also, dass vor Ort so viele Betriebe über Fachkräftemangel klagen, und das in einem Land, das sich doch auch weiterhin zu den führenden Wirtschaftsnationen zählen will. Diese Zahlen stehen für massive soziale Probleme in unserem Land.
Daher habe ich mich zuerst gefreut, Herr Minister, dass Sie ein Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildung angekündigt haben. Aber was für eine herbe Enttäuschung: Sie wollen ganzen 7 000 Jugendlichen zusätzlich eine außerbetriebliche Ausbildung ermöglichen. Ich freue mich ja wirklich für jeden Einzelnen davon. Aber jetzt mal ehrlich: 7 000 bei 630 000 unausgebildeten jungen Menschen? Das ist doch keine richtige Ausbildungsgarantie! Wem wollen Sie das eigentlich vormachen?
(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Tropfen auf den heißen Stein! – Gegenruf der Abg. Natalie Pawlik [SPD])
Jetzt zum Qualifizierungsgeld. Sie wollen damit 10 000 Beschäftigte zu einer Weiterbildung bewegen, und dann tun Sie auch noch so, als sei das ein richtig großer Wurf. Das sind rechnerisch gerade mal 25 Leute pro Landkreis, also irgendwie auch ziemlich erbärmlich.
Antragsberechtigt ist nur der Arbeitgeber. Nichts für ungut; ich begrüße die Einführung des Qualifizierungsgeldes. Es ist völlig richtig. Aber wenn weiterhin nur der Arbeitgeber entscheidet, dann löst das doch das Kernproblem nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Dann werden doch auch weiterhin fast nur die besser bezahlten Mitarbeiter gefördert.
Leer gehen die befristet Beschäftigten aus, die Geringqualifizierten, die Teilzeitbeschäftigten, die Mütter und die Älteren, die Beschäftigten mit Migrationshintergrund und die in Niedriglöhnen. All diesen Menschen würden die 60 Prozent vom Netto ohnehin nicht reichen. Niemand denkt an Weiterbildung, wenn er dann nicht mehr über den Monat kommt. Das ist auch der Grund, warum meine Fraktion ein Qualifizierungsgeld von mindestens 1 400 Euro fordert.
(Beifall bei der LINKEN)
Die prekär Beschäftigten, die Arbeitslosen und die Menschen in Hartz IV haben von Ihrem Gesetz wieder einmal überhaupt nichts. Es ist unerträglich, dass Sie immer was anderes behaupten und das nicht wirklich angehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie machen in Wahrheit das Gegenteil: Bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern sind die Förderzahlen stark gesunken, alleine bei den Jobcentern um 12 Prozent. Das ist doch katastrophal. Ursache sind wieder einmal fehlende Mittel. Das ist das tolle Ergebnis Ihrer Fortschrittskoalition.
(Beifall bei der LINKEN)
Ihr Gesetz macht nicht aus Unqualifizierten Fachkräfte, sondern Sie pampern Großbetriebe. Herr Heil, jetzt mal im Ernst: Ihr Gesetzentwurf schadet ja niemandem;
(Lachen bei der CDU/CSU)
aber er hilft denen nicht, die keinen Job haben oder die sich in miesen Jobs abrackern. Es bleibt mir ein völliges Rätsel, wie Sie so den Fachkräftemangel angehen wollen.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt schlimmere Gesetze!)
Sie ziehen hier mit viel Bling-Bling eine hübsche Fassade hoch, und hinter der Fassade vergammelt das Gebäude. Wir brauchen endlich ein Recht auf Ausbildung,
(Beifall bei der LINKEN)
und das ist auch finanzierbar, wenn alle Unternehmen in einen Fonds einzahlen. Anstatt immer neue Instrumente für die einzuführen, die eh schon gut qualifiziert sind, müssen Sie doch vor allem endlich mal die unterstützen, die Ihre Hilfe am nötigsten haben.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)
Jeder, der eine Weiterbildung will und braucht, der muss doch auch eine bekommen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Sorgen Sie dafür, dass die Jobcenter und die Arbeitsagenturen dafür das nötige Geld haben! Das ist Ihre Aufgabe. Sonst werden Sie am Fachkräfteproblem scheitern.
(Beifall bei der LINKEN)