Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema stattfinden muss, ist meines Erachtens schon ein Armutszeugnis für unser Land. Mindestens 100 000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen in Deutschland, 380 000 Kitaplätze fehlen. Wir laufen in eine Katastrophe. Bis 2025 könnten es schon 300 000 Erzieherinnen und Erzieher sein, die fehlen. Wir alle wissen aus unseren Wahlkreisen: Die Erzieherinnen und Erzieher, die sich jeden Tag aufreiben, sind erschöpft, oft frustriert, können vielfach nicht mehr. Was für ein beschämender Zustand!
(Beifall bei der LINKEN)
„Keine andere Berufsgruppe erkrankt … so oft am Burnout wie Erzieher*innen“, das schreibt die aktuelle Verdi-Mitgliederzeitung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt in Deutschland seit zehn Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Dieser Anspruch ist aber vielfach ein Papiertiger, der Eltern in die Verzweiflung treibt.
(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Genau!)
Die Zahlen, die ich zu Beginn genannt habe, die sind ja nur die Spitze eines Eisberges. Zwei Drittel der Kitakinder werden in Gruppen betreut, die zu groß sind. Das ist mehr Not- als Qualitätsbetreuung. Sie betreiben Ihren Sparwahn auf dem Rücken der Kitaerzieherinnen und Kitaerzieher, der Kinder und der Eltern.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, Kindertageseinrichtungen und Schulen müssten Kathedralen unseres Landes sein.
(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Genau!)
Ihre herausragende Qualität müsste uns heilig sein. Stattdessen schaut die sich selbst so nennende Fortschrittskoalition dem Niedergang der frühkindlichen Chancen zu. Notwendig wäre – das hat die Bertelsmann-Stiftung schon letztes Jahr gesagt –: Steigen Sie dauerhaft in die Finanzierung der frühkindlichen Bildung ein! Dazu höre ich von Ihnen nichts.
(Beifall bei der LINKEN)
Während der Coronapandemie haben die Entscheidungen von Bund und Ländern Kinder und Familien zu Verlierern der Pandemie gemacht. Kitas und Schulen wurden geschlossen. Jetzt haben Herr Lauterbach und andere diesen Fehler eingeräumt. Aber: Sie lassen jetzt zu, dass den Kleinsten von heute die Chancen von morgen geraubt werden. Das ist inakzeptabel.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist doch schlimm, dass nach Corona die systemrelevanten Jobs schon wieder in Vergessenheit geraten sind, meine Damen und Herren.
Seit Jahren sind die Mängel bekannt. Ich will an Franziska Giffey erinnern; die hat heute hier im Plenum schon häufig eine Rolle gespielt. Sie hat 2019 das Gute-KiTa-Gesetz auf den Weg gebracht. Damals hat sie gesagt: „Frühkindliche Bildung ist eine nationale Zukunftsaufgabe.“ Jawohl, da hat sie schlicht recht.
(Beifall bei der LINKEN)
Und wie ist die Situation drei Jahre später? Die Realität ist eine völlig andere. Träger und Kommunen stampfen aktuell die Betreuungszeiten ein. Da ist dann um 14 Uhr Abholen angesagt.
(Lars Lindemann [FDP]: Wie läuft denn das in Thüringen eigentlich?)
Vollzeitjob? Schichtarbeit? Das ist doch wirklich voll und ganz Ironie. Fachkräftemangel? Sie sollten das mal im Zusammenhang mit den Kitas sehen, meine Damen und Herren. Das alles ist familienfeindlich ohne Ende.
(Beifall bei der LINKEN – Lars Lindemann [FDP]: Wie ist denn das in Thüringen?)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben 2023; die Betreuungsmöglichkeiten sind aber vielfach auf dem Niveau des Jahres 1983 – im Westen. Das ist grotesk. Sie können doch nicht ernsthaft zulassen, dass Frauen und Männer sich heute noch entscheiden müssen: Kind oder Job? – Was für ein Rollenbild wird da wiedererweckt? Die Zustände in den Kitas sind vielfach real existierender Antifeminismus.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Schweigen der Ampel zeigt, welchen Wert Kinder und Familien in Ihrer Koalition haben. Warum gibt es denn bis heute keinen Kitagipfel? Warum gibt es keinen Fachkräftegipfel mit Ländern, mit Trägern usw.? Liebe Lisa Paus – die, glaube ich, nicht da ist, aber dafür ihre Staatssekretärin –, was macht denn eigentlich Ihr Ministerium?
(Nina Stahr [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht denn Ihr Land da in Thüringen? Das ist doch Ländersache!)
Wo ist denn der Plan gegen den Kitakollaps? Ich will nur an die Kindergrundsicherung erinnern. Dieses Wort steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Ich habe das damals sehr begrüßt. Aber jetzt gibt es sage und schreibe ein Eckpunktepapier mit guter Lyrik, aber wenig Substanz: Ankündigungen, Ankündigungen. Und die Realität ist: Jedes fünfte Kind in Deutschland ist armutsgefährdet. Wir haben einen Allzeitrekord bei Kinderarmut; auch das sagt die Bertelsmann-Stiftung. Wir haben eine enorme Steigerung der Armutszahlen: 2,9 Millionen. Das ist doch unfassbar, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn ich die Bundesregierung über „zu wenig Geld“ in einem Bereich sprechen höre, dann geht es fast nie um Kinder, dann geht es immer um die Bundeswehr.
(Nina Stahr [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt nicht, Herr Bartsch!)
100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr! Manch einem ist das noch viel zu wenig. 10 Milliarden Euro für die Aktienrente der FDP!
(Lars Lindemann [FDP]: Reden Sie noch ein bisschen von der Enteignung!)
Und genau 1 Bildungsmilliarde! Diese drei Zahlen zeigen Ihre Prioritäten. Ich fordere Sie auf: Legen Sie einen Masterplan Kita und Schule auf!
(Beifall bei der LINKEN – Lars Lindemann [FDP]: Sie haben die Enteignung vergessen! Enteignung!)
Führen Sie eine Kindergrundsicherung, die den Namen verdient, ein! Und bekämpfen Sie endlich entschlossen Kinderarmut in unserem Land! Lassen Sie Familien nicht im Stich! Schluss mit dem Kitakollaps in Deutschland!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Lars Lindemann [FDP]: Kitas enteignen!)