Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten hier über die Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze. Davon sind nicht nur Langzeiterwerbslose betroffen, sondern eben auch arme Rentner, Alleinerziehende, die aufstocken müssen, oder Asylbewerber. Kurzum: 8,5 Millionen Menschen sind von diesen Gesetzen direkt betroffen. Ich finde, das, was Sie als Regierung hier vorgelegt haben, geht nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es geht bei den Regelsätzen doch nicht um ein Almosen, das die Regierung den armen Menschen in diesem Land großzügig zugesteht. Wir reden hier über das soziokulturelle Existenzminimum. Ich weiß, „soziokulturelles Existenzminimum“ ist ein etwas sperriger Begriff. Gemeint ist: Wir reden hier über ein Grundrecht, nämlich das Recht, nicht nur materiell zu überleben, sondern auch ein Mindestmaß an kultureller Teilhabe in diesem Land zu erhalten. Die vorgesehenen Regelsätze werden diesem Anspruch nicht gerecht. Ich sage es ganz klar: Mit diesen Regelsätzen leistet Schwarz-Rot Beihilfe zur Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten. Da machen wir, die Linke, nicht mit.
(Beifall bei der LINKEN)
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, wie die Regelsätze berechnet werden sollen. Diese Regierung hat sich für das Statistikmodell entschieden. Das heißt, verschiedene Haushalte müssen über drei Monate hinweg in einem Haushaltsbuch all ihre Ausgaben festhalten. Von diesen Haushalten nimmt man dann die untersten 15 Prozent der Einkommenshierarchie; den entsprechenden Personenkreis nennt man dann Referenzgruppe.
Da haben wir bereits das erste Problem. Wir wissen inzwischen dank einer Berechnung von Irene Becker, dass das durchschnittliche Einkommen dieser Gruppe bei 764 Euro im Monat liegt. Das heißt, wir leiten von den Ausgaben, die wirklich arme Menschen haben, die Berechnung der Hartz‑IV-Regelsätze ab. Kurzum: Wir befinden uns in diesem Land in einer Verarmungsspirale. Doch wir als Linke wollen heraus aus der Verarmungsspirale.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber es geht weiter mit dem Kleinrechnen. Sie kommen dann noch mit Abschlägen. In der Öffentlichkeit wird immer nur von Abschlägen für Alkohol und Zigaretten gesprochen. Was im Hause Andrea Nahles immer gern verschwiegen wird, ist ja, dass Sie auch Ausgaben für Gartenarbeiten als nicht regelsatzrelevant einstufen. Im Klartext heißt das: Erwerbslosen gestehen Sie nicht das Recht zu, in einem Nachbarschaftsgarten oder in einem Schrebergartenverein aktiv zu sein oder auf dem Balkon Tomaten zu züchten.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)
Außerdem legen Sie fest: Ausgaben für Beherbergung sind nicht regelsatzrelevant. Wir sind uns doch einig, dass es bei dieser Gruppe eh nicht um Menschen geht, die sich irgendeinen Wellnessurlaub in einem Viersternehotel leisten können. Wir reden hier aber darüber, dass man sich mit seinem Kind auch dann, wenn man in Hartz IV ist, vielleicht eine Woche auf einem Zeltplatz leisten kann. Ich finde, das ist das Mindeste, und es macht mich wütend, dass Sie das den Leuten nicht zugestehen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bewirtungskosten gelten bei Ihnen als nicht regelsatzrelevant. Wir reden hier doch nicht über Essen in einem Sternerestaurant. Worüber reden wir? Wir reden darüber, dass sich auch Erwerbslose, die in einem Verein aktiv sind, bei einem Treffen in der Vereinskneipe eine Tasse Kaffee leisten können. Sollen diese Menschen denn immer ihren Instantkaffee und eine Thermoskanne mit heißem Wasser mitbringen, um dazuzugehören? Wenn Erwerbslose ihr Kind von der Kita abholen, an einer Eisdiele vorbeigehen und alle anderen Kinder eine Kugel Eis bekommen, sollen sie dafür dann kein Geld haben, weil Sie als Ministerin sagen: „Es tut uns leid; Sie sind in Hartz IV; die Ausgaben dafür sind Bewirtungskosten und gelten daher als nicht regelsatzrelevant“?
(Beifall bei der LINKEN)
Oder nehmen wir die Kosten für Haustiere. Wenn es nach dieser Regierung geht, wenn es nach Schwarz-Rot geht, dann sind die Kosten für Haustiere nicht regelsatzrelevant. Wer also in Hartz IV fällt, der muss seinen Hund womöglich im Tierheim abgeben oder aber er muss sich das Geld für Hundefutter im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde absparen.
Kurzum: Was Sie hier machen, ist eine große Bevormundung über materielle Not. Wissen Sie: Selbst nach dieser fragwürdigen Statistikmethode müssten die Regelsätze bei mindestens 560 Euro liegen, wenn man allein auf die bevormundenden Abschläge verzichtet.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich sage eines in aller Deutlichkeit: Was diese Gesellschaft braucht, ist eine grundlegende Alternative zum Hartz‑IV-System. Deswegen streiten wir als Linke für eine sanktionsfreie, individuelle Mindestsicherung in Höhe von 1 050 Euro.
(Beifall bei der LINKEN)
Um es zusammenzufassen: Andrea Nahles rechnet die Regelsätze nach Gutdünken klein. Als die SPD noch in der Opposition war, haben Sie all diese Tricks, als Ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen sie angewandt hat, noch heftigst als Kleinrechnerei kritisiert.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Steht alles im Plenarprotokoll!)
Das kann ich nachweisen. Es gibt entsprechende Zeitungsartikel, mir liegen Ihre Anträge und Redebeiträge vor. Heute wenden Sie die Tricks selber an. Ich finde, das ist schäbig. Das ist übler vorauseilender Gehorsam gegenüber der schwarzen Null von Herrn Schäuble.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich komme zum Schluss. Wir als Linke werden uns nicht damit abfinden. Wir werden keine Ruhe geben, bis in diesem Land alle Menschen frei von Armut sind. Ja, Freiheit von Armut und Sanktionsfreiheit, das ist das Ziel, für das wir mit aller Entschiedenheit kämpfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Nun geht es bei diesem Tagesordnungspunkt auch um Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz. Dazu kann ich aus Zeitgründen nichts mehr sagen. Ich will nur darauf hinweisen: Dieser Gesetzentwurf bringt etwas Schlimmes zum Ausdruck. Was Sie hier machen, das ist eine migrationspolitische Relativierung der Menschenwürde, und das werden wir als Linke heftigst kritisieren.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)