Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrter Herr Botschafter! Auch von mir die herzlichsten Glückwünsche zum 75. Jahrestag symbolisch für die Bürgerinnen und Bürger Israels. Vor allen Dingen wünsche ich Ihnen allen Frieden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, die Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 war ein historischer Wendepunkt für die jüdische Gemeinschaft und für die Welt. Nach der militärischen Niederlage der Nationalsozialisten, nach der Befreiung vom deutschen Faschismus, der 6 Millionen Jüdinnen und Juden skrupellos ermordete, wurde die Dringlichkeit eines jüdischen Staates deutlich. Widerstand und Hass gegen den jüdischen Staat sind so alt wie dieser selbst. 75 Jahre nach Gründung in diesem Hause über Israel zu reden, ist mit einer besonderen Verantwortung verbunden. Das Gefühl der Demut und des Innehaltens, wenn es hier um Israel geht, das bewahre ich mir, und das müssten wir uns eigentlich alle bewahren. Einen Schlussstrich kann und darf es unter die deutsche Geschichte und die deutschen Verbrechen niemals geben.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für Die Linke ist klar: Durch Auschwitz ist Israel zu einer Notwendigkeit geworden. Wer das Existenzrecht Israels infrage stellt, rüttelt am Lebensrecht der Jüdinnen und Juden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, die Geschichte Israels ist auch die Geschichte des Judentums, die von Verfolgung, Unterdrückung und Diskriminierung geprägt ist, genauso aber auch von Widerständigkeit, vom Kampf um Selbstbestimmung und Emanzipation. Auch das sehen wir in diesen Wochen und Monaten. Während die Drohungen gegen Israel und der tiefgreifende Antisemitismus – das Mullah-Regime im Iran ist hier genannt worden – unbeirrt weitergehen, genauso wie aktuell schwere Raketenbeschüsse aus Gaza zu verzeichnen sind, eskalieren gleichzeitig auch die Konflikte mit den völkerrechtswidrigen Siedlungen in der Westbank und zunehmend auch die Konflikte mit der Regierung Netanjahu, der Reformen vorschlägt, die die Demokratie abzubauen bedrohen.
Zum Glück ist die israelische Demokratie lebendig, und es gibt sowohl gegen die Siedlungspolitik, die mittlerweile eine Zweistaatenlösung unendlich erschwert, als auch gegen die Regierung und ihre Justizreform in Israel Hunderttausende Demonstrantinnen und Demonstranten. Nebenbei bemerkt: Wenn es bei uns Demonstrationen wie jetzt in Israel geben würde, wären das, prozentual hochgerechnet, 8 Millionen Menschen, die auf die Straße gingen; das nur als Hinweis an uns alle. Wir als Linke stehen an der Seite der Demonstrantinnen und Demonstranten für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und Freiheit für alle in Israel, für die sie auf die Straße gehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Vor 27 Jahren hielt Ezer Weizman im Deutschen Bundestag als erster israelischer Präsident eine Rede, und er sagte:
"Ich kann nur fordern, meine Damen und Herren Abgeordnete des Bundestages …, dass Sie in Ihrem Wissen um die Vergangenheit Ihre Sinne auch auf die Zukunft richten, dass Sie jede Regung des Rassismus wahrnehmen und jede Regung des Neonazismus zerschlagen, dass Sie diese Elemente mutig zu erkennen wissen und von der Wurzel her ausreißen, auf dass sie nicht wachsen und Zweige und Wipfel bekommen."
27 Jahre nach diesen Worten des damaligen israelischen Präsidenten sind Jüdinnen und Juden, ist jüdisches Leben in unserem Land gefährdet. Antisemitische Straftaten sind seit Jahren traurige Realität in Deutschland. Denken wir nur an die Synagogen, die bewacht werden müssen, an die Menschen, die wegen Kippa und Davidstern auf der Straße attackiert werden. Was wir bei den Protesten gegen die Coronamaßnahmen beobachten mussten, war teilweise enthemmter Antisemitismus.
(Karsten Hilse [AfD]: Blödsinn!)
Meine Damen und Herren, der Neonazismus, wie ihn Ezer Weizman nannte, ist ein Problem in Deutschland. Es ist das Versagen der Politik und – ich sage das ausdrücklich auch selbstkritisch – ein Versagen, für sozialen Zusammenhalt und Nächstenliebe zu sorgen. Es ist ein Versagen insofern, als in den 30 Jahren politisch zu wenig getan wurde, um die Zweige und Wipfel des Neonazismus politisch zu bekämpfen. Den Hass auf der Straße, im Netz und in den Köpfen der Menschen zu bekämpfen, das muss Aufgabe von Politik, es muss unsere Aufgabe sein.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
75 Jahre, das heißt nicht nur gedenken, nicht nur jüdisches Leben feiern – das in Deutschland zum Glück bunt und vielfältig ist –, sondern es heißt auch, innezuhalten und zu überlegen, in welche Richtung sich unser Land und ganz Europa entwickelt. Es heißt, sich selbst zu befragen, was wir tun, um den Boden für Neonazismus auszutrocknen und die Wipfel und Zweige zurückzudrängen.
In diesem Sinne – alles Gute zum 75. Jahrestag. Schalom!
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)