Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Ich würde sagen: Die Diskussion hat bis jetzt schon gezeigt, dass wir heute um nicht weniger reden als um eine Operation an der Hauptschlagader der Demokratie. Das sollte uns doch etwas nachdenklicher machen. Wir wissen, dass das Wahlrecht komplex ist. Umso wichtiger ist es tatsächlich, dass wir Wege finden, wie wir den Willen der Wählerinnen und Wähler bestmöglich umsetzen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wirklich unverständlich ist es dann, wenn aus bestimmten Ecken parteiegoistisches Geschrei kommt, weil das hier nichts zu suchen hat, zumal dieses Hohe Haus in einer Bringschuld steht. Über die Begrenzung des Anwachsens der Abgeordnetenzahlen reden wir ja nicht erst seit gestern. § 1 des Bundeswahlgesetzes verpflichtet uns dazu; und wenn wir von Bürgerinnen und Bürgern erwarten, Gesetze und Regeln einzuhalten, dann gilt das für uns umso mehr. Versuche, das in der Vergangenheit durch Veränderungen wieder hinzubekommen, haben bisher nicht gefruchtet. Es ist schon ausreichend daran erinnert worden, woher der Widerstand kam: aus den Reihen der Union.
Die Mehrheit in diesem Lande möchte übrigens, dass keine Partei über das Wahlrecht bzw. das Wahlsystem einen Vorteil gegenüber anderen Parteien hat, sagt die Bertelsmann-Stiftung. Nun legt die Union hier erneut einen Vorschlag vor, der zu einer fortbestehenden einseitigen Bevorzugung führen würde, und zwar von Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Johannes Schraps [SPD] – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Es steht nicht im Gesetz, dass nur die Union Direktmandate gewinnt!)
Dem kann man nun weiß Gott nicht zustimmen, und da habe ich noch gar nicht darüber gesprochen, möglicherweise faktisch die Grundmandatsklausel zu kippen.
Sehr geehrte Damen und Herren, auch der Minikompromiss aus GroKo-Zeiten hilft nicht auf dem Weg, den Bundestag von 736 Abgeordneten auf 598 und damit auf die gesetzliche Größe zu bringen. Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Ampel nun einen Vorschlag unterbreitet hat, der unsere Wahlgrundsätze, Verfassungsmäßigkeit und Gerechtigkeit der Regelungen vereinen möchte. Für mich geht dieser Vorschlag in eine richtige Richtung.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Linke setzt sich seit Längerem für Reformen des Wahlrechts ein. Wir haben in der Wahlrechtskommission darüber diskutiert, wie wir die für die Demokratie so wichtigen Regeln erneuern und auf die Höhe der Zeit bringen können. Ehrlich gesagt, es hätte der Bedeutung des Themas insgesamt besser entsprochen, wenn die Ampel mit ihrem Vorschlag gewartet hätte, bis der Abschlussbericht der Kommission da gewesen wäre.
(Beifall bei der LINKEN)
Möglicherweise hätten Sie ja einiges an Ihrem Gesetz nicht ausgespart, was wir jetzt beantragen; denn es fehlt Folgendes:
Erstens. Die Repräsentation von Frauen ist immer noch sehr gering. Wir sind in diesem Parlament maximal ein Drittel. Das ist nicht weiter zu akzeptieren. Wir leben im Jahr 2023.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
So lange, wie sich das nicht in einem Wahlrecht wiederfindet, werden wir dieses Plenum immer wieder dazu zwingen, sich mit diesem Thema zu befassen.
Zum Zweiten. Millionen unserer Nachbarinnen und Nachbarn dürfen nicht wählen, weil es immer noch kein modernes Ausländerwahlrecht auf Bundesebene gibt. Es geht dabei um etwa 10 Millionen Menschen, die länger als fünf Jahre in diesem Land leben, die nicht wählen dürfen, die Steuern zahlen und die, obwohl sie nicht wählen können, alle politischen Entscheidungen auch aushalten müssen.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der AfD: Die können jederzeit gehen!)
Wenn ich über diese Menschen rede, dann ist klar: Das betrifft einen erheblichen Teil der modernen Arbeiterschicht. Wir reden immer davon: Wir sollen die Arbeiterinnen und Arbeiter besser in die Politik integrieren. – Dann machen wir es doch! Schaffen wir ein Ausländerwahlrecht für die Bundestagswahl!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Drittens. Senken wir das Wahlalter auf 16 Jahre ab! Wir treffen hier Entscheidungen für die Zukunft; aber die Menschen, die das betrifft, können nicht mitbestimmen. Das gehört geändert. Ich denke, man kann den jungen Menschen in dieser Zeit vertrauen, dass sie ihre Entscheidungen treffen können, –
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Beatrix von Storch [AfD]: Aber Alkohol trinken können sie nicht!)
– weil sie auch all das, was wir hier an Folgen von unseren Entscheidungen produzieren, auch unsere Fehler, aushalten müssen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)