Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Gewerkschafter in der Politik, IG-Metaller aus Kaiserslautern. Es ist sehr bemerkenswert, was die Beschäftigten von Vestas machen. Sie haben unsere große Solidarität. Wer weiß, was es persönlich bedeutet, in einen Erzwingungsstreik zu gehen, wer weiß, dass das auch viel Geld kostet, weil Streikgeld weit weg vom Einkommen ist, wer weiß, was das für ihre Familien bedeutet usw., der kann vielleicht ermessen, unter welchem Druck diese Beschäftigten stehen. Dass sie das schon über 100 Tage machen, hat unsere Solidarität, und wir wünschen ihnen den größtmöglichen Erfolg.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir als Linksfraktion sind dankbar, dass zumindest zwei weitere Fraktionen erkannt haben, dass das Thema, das wir heute in der Aktuellen Stunde behandeln, weit über das Unternehmen hinausgeht. Es hat eine große Bedeutung für die Energiewende, für die Windkraftbranche. Aber ich glaube, es hat auch generell eine große Bedeutung, wie in diesem Land die Transformation der Wirtschaft, der Gesellschaft funktionieren kann. Wir Linke sagen deutlich: Sie wird nur gelingen mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, mit guter Arbeit, mit Mitbestimmung. Das sind Grundvoraussetzungen für die Transformation, in der wir uns befinden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Herr Oellers von der CDU/CSU-Fraktion, Sie haben hier auch auf die Tarifautonomie verwiesen; alles gut und schön. Sie haben gesagt: Ja, das Problem sei ja auch, dass unklar sei, mit wem man den Tarifvertrag möglicherweise aushandeln solle: mit einer Gewerkschaft oder dem Betriebsrat.
Herr Oellers, ich habe nachgeguckt: Sie sind Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Sie müssten eigentlich wissen, dass Tarifverträge in Deutschland nicht zwischen Betriebsräten und den Unternehmen ausgehandelt werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In der Tarifautonomie ist es nun mal so, dass Arbeitgeber mit Gewerkschaften Tarifverträge aushandeln. Dass ich das hier zur späten Stunde einem Fachanwalt erklären muss, macht das Ganze bedenklich. Bleiben Sie in der Politik! Alles andere wird schwieriger.
(Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: So eine Überheblichkeit!)
Wir haben eine Situation in Deutschland, in der wir generell über Tarifverträge reden müssen, und viele haben das hier auch zum Anlass genommen. Ich will auch noch mal daran erinnern: Im Jahr 2000 hatten wir noch eine Tarifbindung bei den Beschäftigten von 68 Prozent; heute liegt die Quote bei 49 oder 50 Prozent. Das heißt, wir haben innerhalb von etwas mehr als 20 Jahren einen dramatischen Aderlass bei der Tarifbindung in diesem Land.
Und wenn man bedenkt, dass der Wirtschaftsbereich „Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung“ 100 Prozent Tarifabdeckung hat, dann liegt der Anteil im Rest der Wirtschaft hier irgendwo unter 40 Prozent, also bei etwa 35 Prozent. Das zeigt, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land gerade nicht unter einen Tarifvertrag fallen, gerade nicht davon profitieren, dass Tarifverträge für eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sorgen können, auch nicht davon, dass gewisse Dinge, die die Politik der Wirtschaft ins Stammbuch geschrieben hat, tatsächlich umgesetzt werden können.
Ich will mal daran erinnern: Die Politik hat etwas gemacht, was ich grundsätzlich gut finde, nämlich die Idee mit der 3 000-Euro-Inflationsausgleichsprämie. Viele haben gedacht, diese würde jetzt automatisch jeder Arbeitnehmer in diesem Land bekommen. Heute können wir sagen: Die Hälfte der Arbeitnehmerschaft in diesem Land hat keine Inflationsausgleichsprämie bekommen. Warum? Weil es keine Gewerkschaften gibt, die das für sie aushandeln können.
Auch das ist ein Beweis dafür, dass die Politik ein großes Interesse an starken Gewerkschaften, viel Mitbestimmung und durchsetzungsfähigen Gewerkschaften haben sollte, wenn das, was sie beschließt, ankommen soll.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Den meisten Arbeitnehmern fällt es nicht so leicht, sich durchzusetzen, wie in der Bundesregierung, bei der einer sagen kann: „Wir nehmen uns die 3 000 Euro“, sondern sie brauchen jemanden, der das für sie verhandelt.
Deshalb glaube ich trotz aller Fragen an die Tarifautonomie. Natürlich kann Politik etwas tun, und so wahnsinnig schwierig ist das eigentlich auch nicht. Warum können wir zum Beispiel nicht mal anfangen, dass alle Aufträge des Bundes an Unternehmen vergeben werden, die tarifgebunden sind?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jessica Tatti [DIE LINKE]: Genau!)
Warum machen wir dazu im Bundestag kein Gesetz, in dem das endlich mal geregelt ist? Und warum können wir nicht auch regeln, dass Fördergelder oder Investitionshilfen daran geknüpft sind, dass das Unternehmen tarifgebunden ist?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Warum müssen wir mit Steuergeldern auch noch Lohndumping finanzieren?
Dass es dazu auch gute Beispiele gibt, sage ich ganz bewusst. Ich komme aus Kaiserslautern. Wir haben sehr stark dafür gekämpft, dass eine Batteriezellenfertigung in Kaiserslautern angesiedelt wird. Dort fließen 430 Millionen Euro hin. Dabei ist es gelungen, mit Rahmenvereinbarung zu klären, dass dieser Betrieb Tarifverträge anbieten soll und dass die Mitbestimmung gefördert wird. Also, es geht, wenn man will.
Es gibt aber auch genug Unternehmen, die über IPCEI-Projekte in Deutschland gefördert werden, wo diese Bedingungen nicht an die Förderung geknüpft werden. Guckt mal bei Tesla, guckt mal, was in der Chipindustrie in Magdeburg passiert: Auch da, wo so viel Geld von der öffentlichen Hand fließt, muss die Grundbedingung sein: Tarifverträge, Tarifverträge und Tarifverträge!
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb sage ich Ihnen ganz ehrlich – Tarifautonomie hin oder her –: Wir haben als Politik große Möglichkeiten, hier Einfluss zu nehmen. Dann lasst uns doch endlich mal damit anfangen. Wenn uns SPD und Grüne hier bei dem Thema recht geben: Fangt an, in der Bundesregierung dafür zu kämpfen, dass öffentliche Investitionen mit einer Tarifbindung versehen werden. Dann haben Sie in dieser Debatte auch was Gutes getan
(Beifall bei der LINKEN)
und brauchen nicht nur solidarisch zu sein. Sie können in der Bundesregierung auch richtig handeln.
Wir als Linke – ich komme zum Abschluss – haben hier bereits im Mai einen Antrag eingebracht: „Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung – Für gute Arbeitsbedingungen und höhere Löhne“. Es lohnt sich auch für die anderen Fraktionen, diesen Antrag im Ausschuss positiv zu bewerten und ihm hier im Bundestag zuzustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)