Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vieles deutet darauf hin, dass 2023 als Jahr des Umbruchs der internationalen Architektur in die Geschichte eingehen wird, weg von einer unipolaren Welt in Richtung einer multipolaren Welt.
Ich erinnere an den UN-Menschenrechtsrat im April, als sämtliche lateinamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Staaten die unilateralen Zwangsmaßnahmen, also Sanktionen, verurteilt haben, während nur elf Staaten der EU und der NATO und ihrer engeren Verbündeten dagegen waren.
Ich erinnere an den EU-Lateinamerika-Gipfel im Juli und an den G-20-Gipfel in Indien, wo es nicht möglich war, die Narrative, die bei uns vorherrschend sind, zum Beispiel zum Krieg in der Ukraine, gegen das wachsende Selbstbewusstsein des Globalen Südens durchzusetzen. Ich erinnere an den BRICS-Gipfel oder auch an die jüngste UN-Generalversammlung. Wir sind in einer Zeit des Umbruchs, und die Anträge und die Reden hier reflektieren das aus meiner Sicht nur völlig unzureichend.
(Beifall bei der LINKEN)
UN-Generalsekretär Guterres hat im Juli ein Grundsatzpapier dazu veröffentlicht, „A New Agenda for Peace“, in dem er genau diesen Umbruch beschreibt und Überlegungen anstellt, wie dieser Umbruch friedlich zu bewerkstelligen ist. Auch dazu findet man in den Reden und Anträgen hier sehr wenig. Guterres betont die Rolle der Diplomatie. Er fordert übrigens von allen Staaten, also auch von uns, Abrüstung, ganz im Gegensatz zum Antrag der Ampel, in dem die Aufrüstung wieder implizit enthalten ist. Ich finde, dieses Papier von Guterres sollte nicht in den Schubladen verschwinden, sondern Gegenstand der Debatten hier sein.
(Beifall bei der LINKEN)
In den Reden beim jüngsten Gipfel der UNO in New York setzt sich dieser Trend fort: Viele lateinamerikanische oder afrikanische Staatschefs fordern eine grundsätzliche Reform auch des UN-Sicherheitsrates, weil sie darin ja nicht ständig vertreten sind, und auch der Finanzstrukturen des IWF, der WTO oder der Weltbank, die ja sozusagen noch die alte Welt reflektieren. Ich glaube, diesen Ansprüchen kann man nur zustimmen. Man kann auch den Reden von Lula und von Xiamora Castro aus Honduras nur zustimmen, die – das will ich zum Schluss noch sagen – zum ersten Mal in der Geschichte der UNO den wichtigsten politischen Gefangenen der Gegenwart angesprochen haben: Julian Assange, der immer noch in Großbritannien im Gefängnis sitzt. Hier möchte ich den beiden Genannten dafür danken.
Julian Assange muss unbedingt freigelassen werden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)