Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tage um den 17. Juni 1953 gehören mit dem Mauerbau am 13. August 1961 zum dunkelsten Kapitel der DDR – einerseits. Andererseits steht der 17. Juni 1953 auch für den mutigen Kampf für soziale Rechte, demokratische Selbstbestimmung und Freiheit. Der 17. Juni steht in einer Linie mit Ungarn 1956, mit Prag 1968 und schließlich mit Leipzig 1989. Die Menschen des 17. Juni waren frühe Wegbereiter der Friedlichen Revolution in der DDR. 1989 war die Zeit vorbei, dass sowjetische Panzer demokratische Aufstände niederschlugen.
Am 17. Juni 1953 kam es in der DDR zu Massenstreiks und Massendemonstrationen, an denen vor allen Dingen Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligt waren. Über 1 Million Menschen gingen in 700 Orten der DDR auf die Straße. Aus einem Protest gegen Normerhöhungen und schlechte Versorgungslage wurde auch eine Demokratiebewegung mit der Forderung nach freien Wahlen und nach Meinungsfreiheit.
Der Aufstand wurde blutig unterdrückt. Es gab zahlreiche Tote, ungezählte Verletzte. In den Tagen danach kam es zu Tausenden Verhaftungen. In der Folge machte die SED-Führung soziale, aber keinerlei politische Zugeständnisse, ganz im Gegenteil. Viele, auch aus der SED, die sich ein besseres Land wünschten, wurden ihrer Hoffnungen beraubt. Der 17. Juni mahnt uns, gerade uns Linke, bis heute: Soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit gehören untrennbar zusammen.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, eines kommt allerdings oft zu kurz: Der 17. Juni war eine Demokratie- und Freiheitsbewegung – unstrittig –, und er war ein Aufstand der Arbeiterklasse. Der junge Willy Brandt sagte dazu im Deutschen Bundestag:
"Die Tatsache, daß der Volksaufstand … vom 17. Juni 1953 in erster Linie das Werk der Arbeiterschaft war, verdient … noch einmal unterstrichen zu werden."
Genau das möchte ich heute auch tun. Der 17. Juni war der erste Volksaufstand im sowjetischen Einflussbereich, und er war auch der letzte große politische Streik der Nachkriegszeit in Ost und West. Denn eine Schlussfolgerung aus dem 17. Juni wurde auch im Westen nie gezogen: zu sagen, was der 17. Juni tatsächlich auch war, nämlich ein politischer Streik. Genau das gilt bis heute in Deutschland als nicht zulässig. Dabei könnte, jedenfalls nach meiner Auffassung, die aktuelle Politik der Bundesregierung den einen oder anderen politischen Streik durchaus gut vertragen. Da kann man ja nur sehr, sehr neidisch nach Frankreich schauen. Wir als Linke fordern das Recht auf politischen Streik, nicht zuletzt als Lehre aus dem 17. Juni. In der gesamten Europäischen Union sind politische Streiks möglich; nur in Dänemark und Deutschland sind sie untersagt. Dieser Sonderweg ist nicht länger vertretbar.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, wie sieht es denn 70 Jahre später in unserem Land aus? Wir können nicht zufrieden sein mit dem Zustand unserer parlamentarischen Demokratie. Wenn viele Bürger zu nichtdemokratischen Parteien tendieren,
(Kay-Uwe Ziegler [AfD]: Was ist denn das für ein Quatsch?)
haben wir alle als demokratische Parteien ziemlich viel falsch gemacht, und das ist eine kreuzgefährliche Entwicklung. Millionen Bürgerinnen und Bürger wenden sich aktuell ab. Die politische Entfremdung zwischen einem Teil der Bevölkerung und der Berliner Politik ist so groß wie vielleicht noch nie nach der Wiedervereinigung. Auch die soziale Spaltung des Landes ist so tief wie lange nicht. Das sollte meines Erachtens nicht so weitergehen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Meine Damen und Herren, die Erinnerung an den 17. Juni sollte aber vor allen Dingen auch ermutigen und eine Debatte über eine Streikkultur in Deutschland auslösen. Anstatt über Streiks und Demos zu meckern, sollten die Menschen darin bestärkt werden, für ihre Rechte einzutreten. Das ist das Lebenselixier einer demokratischen Gesellschaft. Vom 17. Juni bleibt die historische Gewissheit, dass Widerstand gegen Ausbeutung und Unfreiheit legitim und notwendig ist – lokal wie global.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)